Walzenzüge

Dr. Axel Römer, Leiter Entwicklung & Konstruktion und Reiner Bartsch, Produktmanager, Hamm

Harte Bandagen, umgeben von modernster Technik, einfach bedienbar und ergonomisch perfekt gestaltet – so stellen sich Dr. Axel Römer, Leiter Entwicklung und Konstruktion bei Hamm und Produktmanager Reiner Bartsch den optimalen Walzenzug vor. Im Stammwerk Tirschenreuth gibt es dafür ideale Bedingungen.

Dr. Axel Römer, Reiner Bartsch, Hamm AG
Protagonisten für Erdbauwalzen bei Hamm in Tirschenreuth: Dr. Axel Römer (links), Leiter Entwicklung & Konstruktion und Reiner Bartsch, Produktmanager Walzenzüge. (Bild: bd/Leppert)

 

Was macht das Unternehmen Hamm im Kern aus – auch für Sie ganz persönlich?

Dr. Römer: Hamm ist ein mittelständisch geprägtes Unternehmen, das sich permanent weiterentwickelt und seit Jahren beeindruckende Wachstumsraten erzielt. Wir haben sehr flache organisatorische Hierarchien und die Mitarbeiter dadurch eine hohe persönliche Verantwortung mit entsprechenden Entscheidungsspielräumen. Zugleich gibt es eine große Verpflichtung gegenüber der Tradition – hier in Tirschenreuth werden seit über 100 Jahren Walzen gebaut. Und als Spezialist für die Verdichtungstechnik im starken Verbund der Wirtgen Group ist Hamm zudem sehr international aufgestellt.

Bartsch: Dazu kommt für mich als Produktmanager, der mit sehr vielen unterschiedlichen Abteilungen zu tun hat, eine sehr große Offenheit. Man findet überall Aufmerksamkeit und Unterstützung, auf jede Kundenanfrage und jedes Problem wird sofort reagiert und versucht, eine Lösung zu finden.

Was sind nach Ihrer Einschätzung die zentralen Stärken des Unternehmens?

Dr. Römer: Die Mitarbeiter aus der Region sind sehr bodenständig und deshalb mit dem Unternehmen oft über viele Jahrzehnte persönlich sehr stark verbunden. Ihre große Erfahrung und Expertise im Walzenbau ist die Basis für unser breites und hoch spezialisiertes Produktprogramm. Parallel dazu spürt man eine hohe Bereitschaft, sich zu verändern und weiter zu entwickeln – so wie sich auch das Unternehmen selbst, der Standort, die Produkte oder auch die Strukturen im Vertrieb und im Service permanent weiter entwickeln. Hamm hat in jüngerer Vergangenheit sehr viel in Tirschenreuth investiert – als klares Bekenntnis zum Standort und den Beschäftigten. Umgekehrt finden wir meist noch ausreichend Nachwuchs auch aus der Region, da spielen der gute Name und Ruf des Unternehmens mit entsprechenden Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten eine ebenso wichtige Rolle wie die weltweite Präsenz mit interessanten Perspektiven für den einzelnen Mitarbeiter.

Und was macht Hamm wiederum technologisch so erfolgreich?

Dr. Römer: Das liegt vor allem daran, dass wir Produkte bieten, mit denen unser Kunde seine Aufgaben lösen kann. Und das muss beileibe nicht immer High-Tech sein; auch die Summe einfacher, aber genau passender Lösungen macht technologischen Erfolg aus. Das braucht viel anwendungstechnisches Know-how: Man muss wissen, was mit den Maschinen gemacht wird, wie sie eingesetzt werden und was genau auf den Baustellen in aller Welt benötigt wird – um dann unterm Strich ein wirtschaftliches Produkt zu bieten, mit dem der Kunde sein Geld verdienen kann. Unsere Kunst wiederum ist es, Produkte zu entwickeln, die den Besonderheiten der einzelnen Märkte entsprechen und diese zugleich in der Qualität eines Serienprodukts zu fertigen.

Welche weiteren Aspekte sind Ihrer Erfahrung nach für die Kunden relevant?

Bartsch: Alle technischen Lösungen müssen einfach sein, in der Bedienung genauso wie in der Anwendung. Darüber hinaus können die Anforderungen regional extrem unterschiedlich sein. Ein Beispiel: Wir haben Walzenzüge von 5 bis 25 Tonnen. Für deutsche Kunden ist das gesamte Spektrum relevant, mit möglichst vielen Optionen. Der amerikanische, von großen Vermietern geprägte Markt setzt meist auf Standardmaschinen zwischen 5 und 11 Tonnen, der chinesische Markt beginnt erst ab 20 Tonnen. Entsprechend unterschiedlich sind dann auch die Erwartungen und Bedürfnisse. Und einen Vermieter etwa interessieren vor allem die Investitions-, Wartungs- und Instandhaltungskosten. Dieser Vielfalt begegnen wir mit lokalen Produktionen in einigen wenigen Ländern sowie in Tirschenreuth mit einem Plattformkonzept, auf dem sich dann Maschinen mit verschiedensten Modulen individuell konfigurieren lassen.

Dr. Römer: Generell steht für fast alle Kunden weltweit immer eine gewisse Wirtschaftlichkeit im Fokus, zunehmend auch eine Gesamtbetrachtung über den gesamten Lebenszyklus – von der Beratung über den Service bis zum Wiederverkaufswert. Dazu kommt die Qualität, der Maschine selbst wie auch der Arbeitsergebnisse. Und immer mehr favorisieren eine zukunftsorientierte Technik – auf Basis einer stabilen, verlässlichen und möglichst auch langfristigen Partnerschaft zwischen den Unternehmen sowie auch zwischen Personen.

 

Steckbrief: Hamm AG

1878: Gründung der Maschinenfabrik Gebr. Hamm, Herstellung von landwirtschaftlichen Geräten

1911: weltweit erste motorgetriebene Straßenwalze

1932: erste allradgetriebene und allradgelenkte Tandemwalze

1963: erste allradgetriebene und allradgelenkte Gummiradwalze

1999: Eingliederung in die Wirtgen Group

Hauptsitz: Tirschenreuth (Oberpfalz)

Auslandspräsenz: 55 Vertriebs- und Servicegesellschaften mit 100 eigenen Häusern sowie 150 autorisierte Händler

Mitarbeiter: ca. 1.000

Portfolio: Walzen für den Erd- und Asphaltbau, ältester noch produzierender Walzenhersteller in Deutschland

Produktion: 8.600 Maschinen (2016)

Weltmarktanteil: 20 Prozent (2016)

Beim Thema Verdichtung geht es meistens um den Asphaltbau. Wird der Erdbau allzu oft vernachlässigt?

Bartsch: Ich glaube ja. Zum einen macht das Segment der Walzenzüge für den Erdbau in Bezug auf Stückzahlen über die Hälfte des Weltmarkts aus. Zum anderen beginnt jedes neue Gebäude und jedes neue Infrastrukturprojekt mit dem Erdbau. Viele Straßenschäden sind auf fehlerhaften Untergrund zurückzuführen. Wegen des hohen Kostendrucks wird hier aber meist nur der Asphalt saniert, für den Erdbau reichen die Budgets oft nicht – obwohl das viel nachhaltiger wäre. Würde der Erdbau immer qualitativ bestmöglich ausgeführt, fiele eine Gesamtkostenbetrachtung am Ende deutlich positiver aus.

Welche spezifischen Anforderungen stellt der Erdbau an die Verdichtung und wie können sie erfüllt werden?

Bartsch: Viele Erdbauwalzen gehen in die Vermietung. Da die Fahrer häufig wechseln, muss zuallererst die Bedienung sehr einfach sein. Ein anderes Problem sind ständig wechselnde Bodeneigenschaften, die das Verdichtungsergebnis beeinflussen. Eine nachhaltige Lösung bietet unser Hamm-Compaction-Quality-System HCQ, ein Tool zur flächendeckenden dynamischen Verdichtungskontrolle. Oft wird ja die Ausführungsqualität im Erdbau nur durch Stichproben überprüft, mit dem System kann man sie flächendeckend kontrollieren. Zugleich verspricht der HCQ-Navigator mehr Effizienz, weil der Walzenfahrer informiert wird, wo er schon gefahren ist und bereits ausreichend verdichtet hat. Dies hat eine besondere Bedeutung für die Eigenkontrolle. Aber auch die Auftraggeber sind gefordert, den Einsatz solcher Systeme in ihren Ausschreibungen zu berücksichtigen.

Dr. Römer: Die ausführenden Baufirmen wissen schon sehr genau, was im Erdbau gemacht werden muss und wie man es richtig macht. In der Ausführung spielen dann aber auch Faktoren wie Wirtschaftlichkeit, Kosten und Zeitdruck eine Rolle. Hier leisten Verdichtungs-Mess- und Dokumentationssysteme wertvolle Unterstützung – das ist übrigens ein globaler Trend. 

In der VIO-Bandage hat Hamm die beiden Technologien Vibration und Oszillation vereint. In welchen Fällen und warum macht das Sinn?

Dr. Römer: Die Vibration hat eine große Tiefenwirkung, die Oszillation wird zur oberflächennahen Verdichtung eingesetzt, auch bei Böden, die zum Wiederauflockern neigen oder bei Material mit hohem Rundkorn-Anteil. Die Oszillation hat große Vorteile im innerstädtischen Bereich und auf Brücken, wo immer eine geringe Schwingungsübertragung auf die Umgebung wichtig ist. Im Erdbau haben wir ja nur eine Bandage zur Verfügung, deshalb ist es sehr nützlich, beide Systeme in einer Maschinen zu vereinen. Man kann einfach umschalten. Und neuerdings kann man auch im Oszillationsmodus die Tragfähigkeit des Untergrunds messen – hier sind wir gerade in der Testphase. Damit kann man diese Walzen noch universeller einsetzen. 

Welche Motivationshilfen könnten die Verbreitung dieser Assistenzsysteme beschleunigen?

Dr. Römer: In erster Linie muss der Kundennutzen eindeutig erkennbar und kalkulierbar sein. Ein Beispiel ist hier die Geschwindigkeitsregelung: Wie beim Tempomat im Auto wird die jeweils notwendige Walzengeschwindigkeit konstant gehalten, und zwar unabhängig vom Gelände, bergauf wie bergab. Denn fährt die Walze zu schnell, leidet die Qualität, fährt sie zu langsam ebenso und sie erreicht nicht die kalkulierte Tagesleistung. 

Hamm AG, Stammwerk Tirschenreuth

Der Standort Tirschenreuth

Die Kreisstadt in der Oberpfalz ist seit fast 140 Jahren der Firmensitz von Hamm. Rund 1.000 Menschen arbeiten auf der 353.000 m2 großen Betriebsfläche des modernsten Walzenwerks Europas. Mehr als 100 Mio. Euro wurden in den vergangenen 15 Jahren in den Standort investiert. So entstanden u.a. ein neues Verwaltungsgebäude und eine Dauerteststrecke für selbstfahrende, GPS-überwachte Walzen. Jüngstes Projekt, das im Jahresverlauf 2017 weitgehend abgeschlossen sein soll, ist die massive Steigerung der Produktionskapazitäten. Gut 30 Mio. Euro fließen in ein neues Logistikzentrum, den Ausbau diverser Fertigungseinrichtungen und des Ersatzteillagers, eine weitere Teststrecke für Prototypen sowie eine neue Halle für Schulungen. Damit können in Tirschenreuth dann bis zu 12.000 Walzen pro Jahr hergestellt werden.

Blicken wir mal auf den Antrieb: Hat der Diesel noch eine Zukunft?

Dr. Römer: Der Diesel wird in Baumaschinen noch ein längeres Leben haben, aber er wird sich verändern – zum Beispiel durch Downsizing und Hybridantriebe, was wir bei einer Baureihe bereits machen. Das vereinfacht die Abgasnachbehandlung. Und die meist nur kurzzeitigen Lastspitzen decken wir aus einem hydraulischen Speicher, den der Motor vorher befüllt hat. Einzelne Antriebe kann man auch elektrisch auslegen, etwa für Lüfter oder Kühlung, um den Motor zu entlasten.

Bartsch: Es gibt aktuell viele interessante Ansätze, ob Hybrid, Elektro, Gas oder auch Rapsöl, die aber für größere Maschinen noch nicht richtig ausgereift sind. Die Maschinen werden teilweise mehr als acht Stunden pro Tag auf der Baustelle eingesetzt, ein E-Antrieb kann das bisher noch nicht leisten. Mit unserem Power-Hybrid können aber solche Anforderungen bedient werden. 

Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung für den Maschinenhersteller Hamm?

Dr. Römer: Maschinenintern ist die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten; Daten, die auf einer Walze entstehen oder durch Sensorik erfasst werden, stehen digital zur Verfügung. Innerhalb der Wirtgen Group gibt es dann Systemlösungen zur Verknüpfung unterschiedlicher Maschinen. Die große Aufgabe im Sinne der digitalen Baustelle aber ist die übergreifende Datenvernetzung aller Teilnehmer, von der Planung über die Qualitätskontrolle bis zum Auftraggeber, in einem gemeinsamen Datenmodell. Und dazu braucht es standardisierte, herstellerneutrale Schnittstellen. Das können wir nicht allein, sondern nur im Verbund mit allen anderen Beteiligten. 

Design hat bei Hamm einen sehr hohen Stellenwert. Wie äußert sich das in einer Erdbauwalze?

Dr. Römer: Die Formsprache ist immer mit der Marke verbunden, wir versuchen deshalb einen gewissen Wiedererkennungswert zu kreieren. Zugleich ist das Hamm-Design stark geprägt von technischen Funktionen und betrifft etwa die Sichtverhältnisse oder die Ergonomie. Eine jüngere Entwicklung ist hier das intuitive Bedienkonzept Easy-Drive: Gleiche Funktionsgruppen haben immer das gleiche Design und sind im Fahrerhaus immer an der gleichen Stelle positioniert – unabhängig vom einzelnen Maschinentyp. So findet sich jeder Bediener einer Hamm-Walze auch auf anderen Modellen schnell zurecht, er fühlt sich wohl und sicher. 

Und wie sieht die Walze von übermorgen aus, braucht sie überhaupt noch einen Bediener?

Dr. Römer: Die Assistenzsysteme werden sich weiter entwickeln, und theoretisch ist damit eine Maschine technisch in der Lage, autonom zu fahren. Wir haben auf unserer Dauerteststrecke bereits Erfahrung damit. Aber bis das auf der Baustelle geht, sind noch viele Fragen zu klären – etwa zur Produktsicherheit oder zu rechtlichen Rahmenbedingungen. Und die Maschine muss selbständig wissen, wo bin ich, wo soll ich hin und – am schwierigsten – habe ich meinen Job erledigt. Dazu kommt die Umfeldüberwachung im Einsatz vor Ort, wo keine Baustelle der anderen gleicht. Dennoch sind Walzen Maschinen, bei denen man sich das durchaus vorstellen kann.