Kippertest 3/2019

Mercedes Benz Arocs 4145 8×4 TRK

Mit dem Arocs 4145 zeigt Mercedes, wie ein Vierachser für den schweren Einsatz mit bis zu 40 t aussehen kann. Genial: Die Turbo-Retarder-Kupplung ist sowohl kupplungsschonende Anfahrhilfe als auch Retarder.

Mercedes Benz Arocs im Test
Mit der sehr kurzen Gesamtübersetzung ist der Arocs für den schweren Geländeeinsatz im Trassenbau oder in der Grube besser gerüstet als für den gelegentlichen Ausritt auf die Autobahn. (Bild: bd/Domina)

Man kann sich von einer faden Party, einer Hausfassade oder in der Kletterhalle abseilen. Weniger üblich ist das Abseilen in einem Kipper. Dabei hängt das Fahrzeug nicht an einem Drahtseil, das selbst wiederum mit einem Natur-Anker wie Baum oder Fels mit zweifelhafter Tragfähigkeit befestigt ist. Es hängt vielmehr an der Turbo-Retarder-Kupplung eines Mercedes Arocs, Actros oder Antos. In unserem Fall ist es der Arocs 4145 8×4-Kipper, der sich hier rückwärts, leise und verschleißfrei eine Abfahrt herunterhangelt. Und zwar – das ist der Trick – mit eingelegtem Vorwärtsgang. Und nur am feinfühligen Gasfuß hängend. Ein leichter Druck aufs Gas, schon erhöht sich der Öldruck zwischen Pumpen- und Turbinenrad der TRK und die Fuhre wird langsamer oder wechselt gar wieder in die Vorwärts-(Aufwärts-) Bewegung. So kann ich den Truck wie ein Jo-Jo auf und abwärts in der Steigung nur mit dem Gaspedal halten, ohne die Trockenkupplung zu verheizen. Denn die ist bei dieser Übung geschlossen. Lediglich das Öl zwischen den Turbinenrädern der TRK erwärmt sich. Ein überraschend kompakt bauender Öl-/Wasser-Wärmetauscher gibt die Energie an den Kühlwasser-Kreislauf des Motors weiter. Das System arbeitet dabei so effektiv, dass man es selbst nach längerem Rangieren mit höchster Last nicht zum Überhitzen bringt.

Pro & Kontra:

robuster Grundrahmen und Antriebsstrang
kupplungsschonendes Anfahren und Rangieren mit Turbo-Retarder-Kupplung
Federungskomfort
sehr kurze Übersetzung, dadurch hoher Verbrauch
lautes Innengeräusch durch Reifen und Motor
kein GPS-Tempomat

Wir können das natürlich nur mit 32 t Gesamtgewicht probieren, denn wir wollen ja noch auf die Straße. Was den Rahmen, das Fahrwerk und die TRK angeht, würde der Arocs 41 t Gesamtgewicht verkraften. Entsprechend ist er ausgestattet: AP-Achsen verteilen die Drehmomente in verträgliche Portionen an Nabe und Achsdifferenzial auf eine Gesamtübersetzung von 4,33. Multipliziert mit dem ins Schnelle übersetzten zwölften Gang (0,77), ergibt sich im höchsten Gang die Gesamtübersetzung von 3,34. Das ist sehr kurz – darüber aber später mehr.

Die beiden Hinterachsen trägt ein Paket aus vier Parabelfedern. Ein dicker Stabi, hinter der letzten Achse, ganz am Rahmenende, hält auch hohe Ladungsschwerpunkte im Zaum. Das Federungsverhalten ist kernig, aber nicht unbequem. Die Stahlfederung der schmalen und kurzen Kabine harmoniert auch bei Leerfahrt gut mit den Blattfedern des Fahrgestells. Der luftgefederte Komfortsitz mit Massagefunktion hält am Ende der Federungskette alles fern, was den Bandscheiben schaden könnte. Und – welch Luxus – der Schwingsitz verwöhnt den Rücken mit einer Massagefunktion.

Viel Platz bietet die nur 2,3 m breite Classic-Space-Kabine nicht. Aber sie reicht für den Tageseinsatz völlig aus, zumal der Arocs mit seinem bekannten, zum Fahrer hin orientierten Armaturenbrett einen ergonomisch perfekten Arbeitsplatz bietet. Hier mit Lederlenkrad und trotz kurzer Kabine ausreichend Verstellraum nach hinten für den Sitz. Für Kletter-Freaks: Man kann sich mit dem TRK-Arocs nicht nur trefflich abseilen, auch draußen, gleich neben der Tür bietet sich ein versicherter Klettersteig zum Verlassen der Kabine in luftiger Höhe an. Zum Zwecke der Ladungsbeobachtung kann sich der Frischluft-Fan hier sicher an Reling-Stangen hinaus hangeln, eine breite Trittstufe erlaubt das beidfüßige Stehen und den prüfenden Blick ins Ladegefäß. Gut gemacht dieser Klettergarten, zumal trotz Trittstufe sogar noch ein kleines Staufach realisiert wurde.

Mercedes Benz Arocs Heckansicht auf Unterfahrschutz
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Innen bietet diese Kabine drei bedeckelte Überkopf-Ablagen – klein, aber immerhin vorhanden. Dazu zwei ebene Ablageflächen, belegt mit Anti-Rutsch-Matte und Bechermulden, die den Kaffe-to-Go zuverlässig in der Aufrechten halten. Dazu gibt es am Ende des Armaturen-Bogens, zum Beifahrer hin, drei Power-Outlets (1 x 12 V, 2 x 24 V) fürs Handy und Zusatz-Equipment. Hinter den Sitzen finden weiters zwei tiefe Ablageboxen Platz, bedeckelt mit dem, was einmal eine Klappliege war, in der kurzen Kabinenversion aber zum gepolsterten Fachdeckel reduziert wurde. Auf ein Fenster in der Rückwand wurde verzichtet, auch gibt es keine Kleiderstange, sondern nur zwei immerhin recht stabil wirkende Kleiderhaken.

Er bietet beachtliche 17 t Nutzlast

Wegen seiner schmalen und kurzen Kabine ist der robust ausgelegte 4145 nur wenig schwerer als vergleichbare 8×4: 15.300 kg zeigt die Waage mit einem Norm-Fahrer am Steuer, vollen Tanks und – wie üblich – ohne Reserverad. Ein Standard-Gewicht wäre hier 15 t, sodass 17 t für die Straßen-Nutzlast übrig bleiben. Ein 8×6 mit einer zusätzlich angetriebenen Vorderachse kommt zum Beispiel auf 16,1 t Leergewicht, bleiben für die Nutzlast also nur noch knapp 16 t übrig. So gesehen ist der 4145 mit seinem schweren Rahmen und der 6-m-Meiller-Brücke also sogar ziemlich leicht.

Wir bleiben noch ein wenig in der Grube und spielen mit der TRK. Per Tastendruck aktiviert, signalisiert ein grün aufleuchtendes Kupplungs-Symbol die Bereitschaft. Beladen und auf trockenem, harten Grund ist das Anfahren in der Steigung ja keine Kunst – da drücken gut 20 t auf die beiden Antriebsachsen. Die Conti Construction greifen da perfekt und nehmen – das sei an dieser Stelle auch mal lobend erwähnt – keine Steine auf. Und wenn, verliert sie der Reifen meist, bevor wieder die befestigte Straße erreicht ist. Im Leerzustand schaut die Sache anders aus: Da ist ein feiner Gasfuß gefragt. Oder eben die TRK, mit der man jeden Anfahrvorgang extrem dosiert gestalten kann. Sind die Längs- und die Quersperren aktiviert, kann einem hier fast nichts mehr passieren, es sei denn, man säuft im tiefen Morast bis auf die Achsen ab. Dann muss der Radlader als Pannenhelfer her und den Havaristen über die Bolzen an den stabilen Heck- oder Front-Querträgern per Abschleppseil bergen. Soweit lassen wir’s aber nicht kommen und machen uns, beladen mit 16,5 t Schotter, auf die Piste.

Sicht auf den Unterboden des Mercedes Benz Arocs aus einer Grube.
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Und da fallen wieder die Contis auf, diesmal allerdings negativ: Das Abrollgeräusch ist schlicht auffallend laut, die Pneus wummern in bestimmten Geschwindigkeitsbereichen etwas lauter, stets aber gut vernehmlich. Das mag an den V-förmigen Einschnitten zwischen den Profil-Stollen liegen. Die geben zwar Steine schnell wieder frei, scheinen aber schwingungstechnisch und akustisch nicht ganz unproblematisch zu sein. Auch sonst ist der Arocs 4145 kein Leisetreter. Erstaunlicherweise dringt von den Achsen kein Trampeln ins Kabineninnere, dafür umso mehr Mahlgeräusche vom Motor. Der Nockenwellenantrieb ist alles andere als leise, das kennen wir in extremer Form vom kleineren Bruder OM 470, wo geradverzahnte Zahnräder allerlei Gerappel an der hinteren Stirnseite verursachen.

Haupt-Geräuschverursacher sind also die Reifen und ein Motor, der bei Autobahn-Geschwindigkeit gut 1.400 Touren dreht. Der Geräuschmesser zeigt hier 67 dB an – das ist schon eine etwas unangenehm laute Geräuschkulisse. Auf der Landstraße sind’s nur 65 dB. Da dreht der Motor knapp 1.100 Touren im zwölften Gang und läuft damit deutlich leiser.

Für die Straße suboptimal übersetzt

Die sehr kurze Gesamtübersetzung ist für 32 t Straßengewicht selbst für unsere relativ bergige Kipper-Runde doch ein wenig zu viel des Guten. Gerade wenn man eine TRK im Triebstrang hat, könnte man für den Straßeneinsatz getrost die Gesamtübersetzung auf 1.200 Touren bei 85 km/h verlängern. Das Rangieren mit langsamen Geschwindigkeiten wäre dank der TRK dann ja immer noch möglich. Und auf den in den meisten Fällen wohl überwiegend befahrenen Landstraßen, würde dieser Kipper dann im direkt durchtreibenden elften Gang bestens harmonieren. Weniger Zahneingriffe bedeuten weniger innere Reibung und damit weniger Verbrauch. Aber wie gesagt: Dieser 4145 ist ein 8×4 für hohe Lasten in der Grube, da greift man dann doch lieber zur ultrakurzen Gesamt-Übersetzung. Und weil wir grade bei Übersetzungen sind: Die Lenkung ist mit 5,8 Umdrehungen von links nach rechts ebenfalls sehr hoch übersetzt. Im Kreisel ist hier viel Kurbelei vonnöten. In Arbeit artet das noch nicht aus, schließlich ist dank elektrisch unterstützer Servo-Twin-Lenkung die Lenkbewegung quasi mit dem kleinen Finger machbar. Und sie arbeitet ruhig und unaufgeregt: Auf der Geraden läuft der Arocs damit wie auf Schienen.

Zurück zum Drehzahlniveau: Bei so kurzer Übersetzung sind Rekordverbräuche im Straßeneinsatz naturgemäß nicht zu erzielen. Dennoch rollt der schwere 8×4 erstaunlich gut. Auf den GPS-Tempomaten PPC (Predictive Powertrain Control) hat Mercedes hier leider verzichtet. Aber allein schon der Steigungssensor im Getriebe erlaubt erstaunliche Roll-Eigenschaften: Zwar fallen einige Rollphasen mit Zeiten um fünf Sekunden viel zu kurz aus, um wirkungsvoll Sprit zu sparen. Auf der anderen Seite ist es aber faszinierend zu sehen, wie genau der Steigungssensor Gefälle und Anstiege einzuschätzen vermag. Zwar nicht vorausschauend – aber immerhin.

Hätte der 4145 den sehenden Tempomaten zur Verfügung gehabt, wären die Verbrauchswerte sicherlich um einige Prozentpunkte niedriger ausgefallen. Die Thematik ist auch für den Tester nicht ganz unproblematisch: Schließlich kennt man ja die entscheidenden Kuppen und Senken, wo der GPS-Tempomat in vorausschauender Weise Über- oder Unterschwinger zulässt beziehungsweise provoziert. Ist kein vorausschauender Tempomat à la PPC, PCC, Active Prediction oder I-See verbaut, gerät man als Fahrer leicht in die Versuchung, die Fahrweise eines GPS-Tempomaten zu imitieren. Das verbietet sich selbstverständlich auf der Testrunde.

Und weil dem so ist, und weil ich die Unterschiede in der Fahrweise mit/ohne GPS-Tempomat kenne, würde ich ganz klar auch im Nahverkehrs-Kipper für den Einsatz des GPS-Tempomats plädieren. Streckenkenntnis hin oder her: Nicht jeder Fahrer kann seine Ortskenntnisse auch in eine wirtschaftliche Fahrweise ummünzen. Und nicht jeder Fahrer ist den ganzen Arbeitstag voll konzentriert. Der GPS-Tempomat wird dagegen nicht müde. Runde um Runde bewegt er die Fuhre optimal über hügelige Strecken, nutzt den Schwung, fährt so effizient wie möglich. Und lässt man einen unbedarften Fahrer zum ersten Mal einen Zug mit GPS-Tempomaten fahren – vielleicht im Rahmen einer Fahrerschulung – ich garantiere: Nach anfänglicher Skepsis wird er der Faszination GPS-Tempomat erliegen. Und dann lernt er. In diesem Fall direkt vom Computer.

Robert Domina