Kippertest 12/2016

Scania R 450 4×2 Bausattel

Er ragt hoch auf, ist kein Leichtgewicht und verbraucht trotzdem nicht mehr als eine Leicht-Sattelzugmaschinen für den 4x2-Straßensattel: Der letzte Scania R 450 der alten Generation fährt buchstäblich gereift und mit Würde in die Grube.

Scania R 450 4x2-Bausattel
Bei allem Komfort ist und bleibt der Scania R 450 eine ideale Zugmaschine für den Bau. (Bild: bd/Domina)

Er wird wohl der letzte seiner Art sein: Scania hat die schwere Baureihe R und – neu – S  ja in diesem Sommer erneuert. Aber bis der „New Scania“ (auf eine ordnende Typbezeichnung hat man leider verzichtet) auch ins Bau-Segment vordringt, werden noch ein paar Monate vergehen. Insofern ist dieser R 450 durchaus eine noch längere Zeit aktuelle Bau-Sattelzugmaschine. Dabei sieht er eher aus wie eine für den Kippsattel umgerüstete Fernverkehrs-Zugmaschine: langes Haus, mittelhohes Dach mit Spoiler, die in der Breite auf 90 cm ausziehbare Schlafliege – alles doch eher Merkmale eines Normal-Sattel. Die Kipper-Qualitäten stecken mehr im mittelhohen Rahmen in Heavy-Duty-Ausführung.

Entsprechend üppig fällt sein Leergewicht aus: 7.760 kg bringt der Schwede auf die Waage, das ist für einen 4×2-Bausattel ziemlich schwer. Dabei ist der 12,7 l große Motor mit knapp 1.100 kg eigentlich eher ein Leichtgewicht. Aber das geräumige Haus, Dreiblatt-Parabelfedern und gute Ausstattung fordern ihren Tribut. Dazu trägt dieser 450er auf der Vorderachse dicke Breitreifen in der klassischen Auflieger-Größe 385/65 R 22,5. Die Walzen stützen den Vorderbau zwar gut gegen Einsinken auf der weichen Deponie ab. Sie kosten aber auch Sprit und laufen nicht besonders gut geradeaus, vor allem bei Spurrillen tanzen sie gerne aus der Reihe und verlangen Aufmerksamkeit.

Scania R 450 4x2-Bausattel Motor
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Als Auflieger hat Scania-Test-Ingenieur Peter Breitbach eine einfache Dreiachs-Rundmulde von Schmitz Cargobull mitgebracht. Mit einer ersten liftbaren Achse für die Leerfahrt, schmaler Schütte am Heck und einfacher Rollplane mit Arbeitsplattform an der Stirnseite vertritt sie den heute gängigen Standard. Mit 6.585 kg Eigengewicht ist dieser Auflieger auch nicht unbedingt leicht, so etwas kann man auch – allerdings ohne Arbeitsplattform – um die sechs Tonnen anbieten. Mit 25,7 t Nutzlast befindet sich dieser Zug in bester Gesellschaft – ein Standard-Wert.

In schwerem Gelände allzu schnell verloren

Beim Einsteigen offenbart sich abermals: Das ist eine Zugmaschine für den Bau. Die erste Stufe liegt mit 48 cm über Grund ganz schön hoch. Sie ist fest angebracht und könnte bei Feindberührung nicht ausweichen. Das würde freilich den Einsatz im Gelände voraussetzen. Wir haben es hier aber mit einem ausgesprochenen Straßen-Kippsattel zu tun: mit einfacher übersetzter Antriebsachse und entsprechend wenig Bodenfreiheit. Als Anfahr-Hilfe könnten wir lediglich die Differenzial-Sperre aktivieren – das war’s aber auch schon. Kein Hydrodrive, kein Freischaukel-Modus, im schweren Gelände wären wir da schnell verloren. Aber da wollen wir ja auch nicht hin.

Stattdessen widmen wir uns der Ladearbeit im Steinbruch mit bestem Wegebau und hartem Untergrund. Wollte man dabei die Verteilung der Ladung beobachten, müsste man schon den Arbeitsbalkon des Aufliegers entern, denn eine Außen-Trittstufe und eine Reling sucht man an der Zugmaschine vergebens. Da der Scania aber über eine Achslast-Anzeige verfügt und die Radlader-Waage genau arbeitet, vertrauen wir den Druckmeldungen aus den Luftbälgen und verlassen die Grube mit 39 t Gesamtgewicht und 24,5 t Nutzlast.

Retarder bewährt sich auf Bergab-Serpentinen

Dabei müssen wir noch nicht mal die Hinterachssperre aktivieren, der Boden ist hart und griffig. Wären die Verhältnisse schwieriger, könnten wir auch ins Offroad-Programm wechseln: Das Gaspedal spricht dann direkter an, die Gänge werden etwas höher ausgedreht, die Gangwechsel erfolgen schneller. Brauchen wir hier und heute aber nicht. Stattdessen wärmen wir Achsen und Reifen auf einer kurzen Handlingfahrt etwas an. Hinunter ins Altmühltal über die Serpentinen der B13 checke ich schon mal den Retarder: Verbaut ist der R4100D Freewheeling, also ein Retarder mit Freilauffunktion. Wird er nicht gebraucht, läuft er im Freilauf-Modus mit, ganz ohne Pansch- und Reibungsverluste. Scania reklamiert hier immerhin 0,5 Prozent Verbrauchseinsparung, zudem bremst der Freilauf-Retarder mit 4.100 Nm, die Normalversion nur mit 3.500 Nm. Hat man die Aktivierung per Schalter übers Bremspedal gelegt, merkt sich das System die per Fußbremse eingestellte Bergab-Geschwindigkeit und regelt sie sauber und mit optimaler Drehzahl ein. Diese praxisnahe Einstellmöglichkeit kennen wir auch von den MANs.

Den Abstand zum Vordermann regeln wir als vorausschauende Kipper-Piloten mit dem Auge ein, die adaptive Anpassung über den Tempomat ist hier nicht verbaut. Obwohl der Testwagen sehr wohl über einen Radarsensor und eine Frontkamera verfügt. Das heißt: Der automatisch eingreifende Notbremsassistent (Scania AEB) ist vorhanden, der Abstands-Regel-Tempomat (ACC) aber nicht. Auch wenn ein Straßen-Kipper den ACC eher selten nutzt: Es wäre wohl nur eine Software-Freischaltung und der Schalter für die Abstands-Einstellung nötig, um auch ACC nutzen zu können.

Auch in alpinen S-Kurven kein Trampeln im Fahrerhaus

Auf den beinahe alpin anmutenden Zulaufstrecken ins Altmühltal können wir in zahlreichen S-Kurven den Chassis-Qualitäten auf den Zahn fühlen: Die vorderen Dreiblatt-Pakete federn erstaunlich komfortabel (auch bei Leerfahrt) und leiten keine Trampelgeräusche ins Fahrerhaus. Dessen Vierpunkt-Luftfederung ist sorgfältig auf das Fahrgestell abgestimmt. Das ist keineswegs trivial, sondern erfordert aufwendige Abstimmungs-Arbeit. Und so durcheilt der Scania auch flott gefahrene Kurven oder die Richtungswechsel in Kreiseln ohne sich unangenehm wankend in die Kurven zu legen. Angesichts der für einen Kipper voluminösen und hohen Kabine ein Bravourstück an Fahrwerksabstimmung.

Scania R 450 4x2-Bausattel Rückfenster
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Nun haben wir uns schon häufig begeistert über die Leistungsfähigkeit des vorausschauenden Tempomat Active Prediction geäußert. Die Vorzüge dieses GPS-Tempomaten dürften also hinreichend bekannt sein: Er regelt extrem genau und reagiert teilweise besser als ein gut geschulter Fahrer auf die bis zu drei Kilometer voraus liegende Straße. Er war der erste, der aus dem Rollen heraus vor einem Anstieg auch schon mal beherzt zwei Gänge schaltete und zielsicher die Ideal-Drehzahl für den Aufstieg fand. Daran hat sich nichts geändert. Und doch hat man das Gefühl, dass Scania immer weiter an den Algorithmen arbeitet, die den Zug lange, lange Strecken rollen lassen – trotz der dicken Schlappen auf der Vorderachse. Und das, ohne die möglichen Kuppen-Geschwindigkeiten bis minus zwölf Prozent der Setzgeschwindigkeit gnadenlos auszunutzen. Das sieht man übrigens am besten, wenn wir die Autobahn-Kuppen zwischen Denkendorf und Ingolstadt abreiten. Wir wählen da stets das Economy-Programm, bei Scania durch AE im Display markiert. Das heißt aber auch: Bei 84 km/h Marschgeschwindigkeit würde Active Prediction die ganze Fuhre vor einer Kuppe auf bis zu 74 km/h abfallen lassen (Unterschwinger). Dass das manchmal einfach zu langsam ist und den Hintermann schon mal zu unschönen Licht- und Handzeichen verleiten kann, geht damit einher. Zudem kostet dieses Kuppenzuckeln auf langen, bergigen Routen durchaus ein paar Minuten Zeit.

Die Trucker-Partnerschaft ist Legitimation genug

Auffallend nun, dass diese mögliche Minimalgeschwindigkeit mit wachsender Reife von Active Prediction wirklich nur noch dann angefahren wird, wenn sich ein langes und hinreichend steiles Gefälle anschließt, das relativ rasch zur eingestellten Schwungspitzen-Geschwindigkeit führt. Hier differenziert das System offenbar immer genauer – und das ist gut so. Eine Kuppe mit 78 statt 74 km/h zu überrollen macht da schon einen Unterschied. Auch wenn vielleicht der Retarder einen Tick früher gezogen und also Schwungenergie vernichtet wird. Das mag das eine oder andere Hundertstel weniger Spriteinsparung kosten, dem Verkehrsfluss und der Partnerschaft unter Truckern wird jedoch ein Dienst erwiesen. Und das ist ja auch was Wert.

Wertvoll ist auch das Drehmoment-Angebot des 12,7-l-Sechszylinder: Mit seinen 2.350 Nm zwischen 1.000 und 1.300 Touren verträgt der Schwede auch Drehzahlen um 900/min noch klaglos und nutzt diese Dampfhammer-Charakteristik auch weidlich aus. Wie bei anderen Konkurrenten (siehe Tabelle) passt dazu ein Direktgang-Getriebe, das auf der Autobahn (mit knapp 1.300 Touren) wie auf der Landstraße (1000 Touren) im höchsten, direkt durchtreibenden Gang gefahren werden kann. Das ist natürlich ein Kompromiss, der auf überwiegenden Landstraßen-Einsatz zugeschnitten ist und hier auch sehr sparsam mit Sprit umgeht. 1.300 Touren auf der Autobahn sind aber eigentlich gute 100 Umdrehungen zu viel, damit steigt auch der Verbrauch. Sollten beispielsweise beim Autobahnbau überwiegend Autobahn-Geschwindigkeiten bedient werden, könnte man den R 450 auch mit einem Overdrive-Getriebe ausstatten und die Landstraße dann im direkten Elften mit knapp 1.100 Umdrehungen fahren – da hält der Achsen- und Getriebe-Baukasten von Scania alle Möglichkeiten offen.

Pro & Kontra: Scania R 450 4x2-Bausattel

harmonischer Antriebsstrang, nicht zu lang übersetzt
Genauigkeit Active Prediction
Abstimmung Eco Roll
Geräuschniveau Landstraße
Geradeauslauf (385er-Reifen vorne)
leichte Lenkeffekte durch Hinterachse bei einseitigem Einfedern

Mit dem gemischten Rundenverbrauch von 32,4 l/100 km befindet sich der R 450 praktisch gleichauf mit dem schlanken Volvo FM 460, der hier allerdings noch mit dem alten Pumpe-Düse-Motor getestet wurde. Damit spielt der üppig ausgestattete Scania trotzdem in einer Liga mit einer schlanken, relativ leichten Standard-Bau-SZM. Er schlägt sich hier also trotz hohem Fahrerhaus und Breitreifen bravourös. Vergleichsweise niedrig für einen SCR-only-Motor ist auch der geringe AdBlue-Verbrauch von nur 2,4 l/100 km. Auffallend sind freilich auch die eher langsamen Bergsteigezeiten auf den Hochlast-Etappen „Kindinger Berg“ und „schwere Landstraße“, die manuell und auf Leistung gefahren wurden.

Stellen wir dem 4×2-Bausattel den 8×4-Solo-Kipper gegenüber wird klar, wie rationell der fünfachsige Hinterkipp-Sattel in der Praxis arbeitet. Der 8×4 mit 32 t Gesamtgewicht ist im Schnitt zwar stets gut ein km/h schneller unterwegs, konsumiert aber im Falle des 450er Scania 8×4 rund zehn Prozent mehr Sprit – bei nur 17 t Nutzlast (32 Prozent weniger). Noch schlechter schneidet der 6×4-Kipper plus Tandemachser ab: 25 Prozent Mehrverbrauch zum 4×2-Bausattel, bei nur annähernd gleicher Nutzlast. Der 4×2-Bausattel ist und bleibt also der wirtschaftlichste Baustoff-Transporter unter den Kippern. Selbst dann, wenn er so komfortabel ausgerüstet ist und fährt wie der Scania R 450.