Kippertest 12/2017

Mercedes Arocs 1845 HAD Bausattel

Hydraulisch angetriebene Vorderachsen sind eine kostengünstige und leichte Alternative zum vollwertigen Allrad. Mercedes nennt seine Anfahrhilfe Hydraulic Auxiliary Drive, kurz HAD. Wir fuhren den Arocs 1845 HAD als Kippsattel.

Mercedes Arocs 1845 HAD Bausattel
Mercedes Arocs mit hydraulischem Hilfsantrieb HAD: Die kostengünstige Traktionshilfe ist perfekt in den Antriebsstrang integriert. (Bilder: bd/Domina)

Vor zwei Jahren erst stellte Mercedes seinen hydraulischen Hilfsantrieb HAD der Fachwelt vor. Und die staunte nicht schlecht. Erst mal wegen der einfachen Bedienphilosophie – ein Schalter genügt zur Aktivierung. Und dann wegen der neuartigen Ansteuerung der hydraulischen Radnabenmotoren: Das System von Daimler zeichnet sich nämlich durch eine Reihe innovativer Details aus. So bestehen bei konkurrierenden Systemen die Hochdruck-Zuleitungen unmittelbar vor dem Radnabenmotor aus flexiblen Schläuchen. Die müssen jede Lenk- und Einfeder-Bewegung mitmachen und sind deshalb Torsionsbelastungen und Schwingungen ausgesetzt, die – jedenfalls bei frühen Versionen – oft zu erhöhtem Verschleiß führten.

Pro & Kontra: Mercedes Arocs 1845 HAD Bausattel

Einfach zu bedienender Vorderradantrieb
Rolleigenschaften
wankstabil aufgesetzte Kabine mit bequemen Einstieg
guter Verbrauch
einfaches Handling
Relativ lange Übersetzung
etwas zähes Bergsteige-Verhalten
Kein GPS-Tempomat
Kabinengeräusch

Genau diese Schwachstelle umgingen die Mercedes-Ingenieure mit ihrem sogenannten Drehverteiler: Im Verbund mit fest verlegten Stahlrohren leitet er das unter Hochdruck stehende Hydraulik-Öl direkt zum Achsbolzen. Hier findet die Übergabe von der starren Zuleitung an die drehbare Achsaufhängung statt. Der Achsbolzen ist hohl gebohrt, das Hydraulik-Öl gelangt direkt in den Nabenmotor, ein flexibler Hochdruckschlauch entfällt. Die Herausforderung bei dieser Lösung ist, die Dichtheit zwischen dem untereinander beweglichen Drehverteiler und dem Achsbolzen zu gewährleisten.

Beim Blick auf die Konstruktion in der Grube fällt uns zwar der etwas ölig angeschwitzte Achsschenkel auf. Der Ölfilm stammt jedoch ganz offensichtlich nicht vom durchgeleiteten Hydrauliköl, sondern von der Fettfüllung: Entwarnung. Ein weiterer Niederdruck-Kreis ist wie üblich für die Steuerung des Systems zuständig und sorgt dafür, dass bei Nichtgebrauch alle Hochdruckstempel im Radnabenmotor entkoppelt sind – daher rührt auch die geringe Verlustleistung im Schleppbetrieb.

Mercedes Arocs 1845 Innenkotflügel
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Ein weiteres Detail des HAD-Konzepts spürt man am besten beim Fahren: Beim Hochschalten findet an der Vorderachse keine Zugkraftunterbrechung statt, obwohl die Hochdruck-Pumpe drehzahlabhängig direkt vom Motor angetrieben wird. Eine Schwenkpumpe macht’s möglich: Sie hält den Druck in den Radnabenmotoren während des Schaltvorgangs weitgehend aufrecht.

Ein mahlendes Geräusch als Erinnerungshilfe für Fahrer

Die Bedienung des HAD ist denkbar einfach. Führt der Weg durch traktionskritischen Untergrund, ist es natürlich am besten, man schaltet den Hydraulikantrieb per Kippschalter schon mal vorausschauend zu. Das entsprechende Anzeigesymbol im Display wechselt nun von weiß (Standby) zu blau (in Betrieb). Bis maximal 25 km/h und bis in den sechsten Gang kann man nun mit angetriebener Vorderachse durchs Gelände schnüren. Dabei arbeiten die Radnabenmotoren durchaus mit gut hörbarem, mahlendem Geräusch. Das ist typisch für alle hydraulischen Radnabenantriebe und keinesfalls störend, erinnert es den Chauffeur doch permanent daran, dass die Vorderräder mitziehen. Wird die Grenzgeschwindigkeit von 25 km/h überschritten, wechselt der HAD in den Standby-Betrieb.

Mercedes Arocs 1845 Armaturenbrett
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Geht’s rückwärts den Berg hoch oder in eine weiche Deponie: auch kein Problem. Hier arbeitet der momentgesteuerte Vorderachsantrieb sogar besonders effektiv. Schließlich wird beim Rückwärtsfahren die Hinterachse dynamisch entlastet, die Vorderachse dagegen belastet. Gut für den HAD: Jetzt kann er hier maximales Antriebsmoment übertragen. Im Extremfall und bei vollem Abruf der Leistung von zwei Mal 40 kW sind das 6.250 Nm pro Rad. Eine enorme Zugkraft, die da wirkt, ganz langsam natürlich. Dass die nur 32 l Öl im Hydrauliksystem da ein bisschen warm werden können, liegt in der Natur der Sache. Dass sie nicht zu heiß werden, dafür sorgt das rechts am Rahmen montierte Kühlmodul mit 20 kW Kühlleistung. Was hier gefällt ist, wie kompakt und aufgeräumt Kühler und Ölvorrat in eine Einheit zusammengefasst sind. Direkt hinter der SCR-Einheit sitzend, ist der Kühler auch gut vor Verschmutzung geschützt.

Gegenüber einer konventionellen, zuschaltbaren Vorderachse liegen die Vorteile des hydraulischen Antriebs im Gewicht und Kraftstoffverbrauch. Daimler liefert hier Zahlen aus dem eigenen Achs-Baukasten: Vergleicht man beispielsweise eine Arocs 1845 Sattelzugmaschine mit normaler Hypoid-Straßen-Hinterachse, schlägt der hydraulische Hilfsantrieb für die Vorderräder nur mit zirka 400 kg Mehrgewicht zu Buche. Richtig schwer sind dagegen zuschaltbare Vorderachsen mit 825 kg oder permanent angetrieben Vorderachsen mit 975 kg Mehrgewicht.

Eins zu null also für HAD: Das System wiegt weniger als halb so viel wie der konventionelle Allradanrieb.

Aber auch die Schleppleistung ist ein Thema: Lediglich um 1,5 Prozent erhöht sich laut Daimler beim HAD der Verbrauch; weitere zwei Prozentpunkte kämen hinzu, wenn statt der einfach übersetzten Hypoid-Antriebsache eine doppelt übersetzte Außenplaneten-Achse im Heck sitzt. Weitere sechs bzw. acht Prozentpunkte Mehrverbrauch generierten zuschaltbare bzw. permanent angetriebene Vorderachsen. Zwei zu null für HAD: nur 1,5 Prozent Mehrverbrauch im Straßenbetrieb.

Leichter als mit Allrad und doch kein Leichtgewicht

Nun sind Sattelzugmaschinen für den Kippeinsatz tatsächlich überwiegend im Straßenbetrieb eingesetzt. Da ist es durchaus sinnvoll auf eine doppelt übersetzte Außenplaneten-Achse zu verzichten. Dennoch ist unser Test-Arocs HAD mit einfach übersetzter Hypoid-Achse und Direktgang-Getriebe eher die Ausnahme: Die Konkurrenz bevorzugt hier AP-Achsen und Overdrive-Getriebe mit etwas höherem Rollwiderstand, aber dafür mehr Reserven gegen zerstörerische Drehmomentspitzen.

Mit 8.228 kg Leergewicht ist der Arocs mit AHD alles andere als ein Leichtgewicht – trotz kurzer Kabine und schlankem Antriebsstrang. Aber: Ein konventioneller Allradantrieb wäre eben nochmal gut 400 kg schwerer. Dafür wirkt das Antriebskonzept HAD in diesem Arocs wie aus einem Guss: Von unten betrachtet, präsentieren sich alle Leitungen sauberst und platzsparend verlegt. Die einzigen flexiblen Schlauchelemente sind die Übergänge vom Rahmen zur Vorderachse, wo die Bewegung zwischen Achse und Chassis ausgeglichen werden muss. Eine Herausforderung ist bei scheibengebremsten Vorderachsen mit Radnabenmotoren der Wechsel der Bremsscheiben. Beim HAD ist hierfür die Demontage der Radnabenmotoren nötig, was mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden ist.

Mercedes Arocs 1845, Meiller-Rundmulde
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Von oben betrachtet, fällt hinterm Fahrerhaus die direkt am Motor angeflanschte Schwenkpumpe auf. Andere Hersteller müssen die Hydraulikpumpe aus Platzgründen ein Stück vom Motor entfernt montieren und den Abstand zum Nebenabtrieb mit einer kurzen Kardanwelle überbrücken. Der direkte Anschluss spart Gewicht, die Zugänglichkeit ist ebenfalls bestens.

Die schmale Classic-Space-Kabine ist hoch auf den Rahmen gesetzt und dank zusätzlich im Blech eingelassenem Griff für die rechte Hand relativ leicht zu entern. Die Motorkiste fällt mit wenigen Zentimetern Höhe recht flach aus und stört den Durchstieg kaum.

Das ganz in tiefem schwarz gehaltene Armaturenbrett wirkt ein wenig düster – trotz des rückwärtigen Fensters, das viel Licht in die Kabine lässt. Bei der Bedienung geben Actros wie Arocs keine Rätsel auf, das kennen wir alles schon aus vielen Tests. Der Schalter fürs HAD sitzt ganz unspektakulär da, wo er hingehört, nämlich in der Schalterleiste mit den Traktionsfunktionen Differenzial-Sperre, Freischaukeln und so weiter. Becherhalter gibt es im Mittelbereich des Armaturenbretts genügend, größere Ablagen finden sich im Dachbereich über der Frontscheibe und in den Türfüllungen. Auch 12- und 24-Volt-Steckdosen gibt es genügend, vorwiegend jedoch zum Beifahrer-Platz orientiert, wo man sie aus der Fahrerposition praktisch nicht erreichen kann. Eine Ablagekiste mit Deckel hinterm Beifahrersitz und die große Staubox auf der Motorkiste vervollständigen das Stauraum-Angebot.

Man fühlt die Fahrbahn und man hört sie auch

Auf der Landstraße federt der Arocs straff, aber nicht unkomfortabel: Das Fahrerhaus ruht auf Stahlfedern und neigt sich in Kurven kein Jota. Das und die direkt wirkende Lenkung vermitteln sehr fühligen Kontakt zur Fahrbahn. Die Geräuschkulisse ist hauptsächlich vom mechanisch recht lauten Sechszylinder geprägt: Im Stand mahlen die Steuerräder des geradverzahnten Nockenwellen-Antriebs aufdringlich. Egal, ob bei 65 auf der Landstraße oder 85 km/h auf der Autobahn: Das Phon-Messgerät registriert 65 Dezibel (A), die sich zu etwa gleichen Teilen aus Reifen-, Wind- und Motorgeräusch zusammensetzen. Zum Vergleich: Eine sehr leise Sattelzugmaschine rollt unter Last mit höchstens 60 dB(A) Innengeräusch.

Aber: Trotz nicht vorhandenem GPS-Tempomat rollt der Arocs mit Eco-Roll überdurchschnittlich gut. Der Steigungs-Sensor des Getriebes hilft hier mit, Gefälle ausreichend fein zu detektieren, was immer wieder zu erstaunlich langen Rollphasen führt – Note eins hierfür. Auf der anderen Seite offenbart dieser Arocs trotz Direktgang-Getriebe und einfach übersetzter Hinterachse eine gewisse Angestrengtheit an den Autobahnsteigungen: Wo wir normalerweise nach einer Schaltung in den Elften mit 70 oder 71 km/h hinaufstampfen, fällt der 1845 hier klassenunüblich auf deutlich unter 70 km/h ab. Dessen gewärtig, schalten wir an den Testbergen etwas früher als sonst und auch schon mal einen Gang überspringend. Und siehe da: Die Bergesteige-Zeiten normalisieren sich, weil so weniger Zugkraftunterbrechungen stattfinden und höhere Drehzahlregionen die doch recht lange Gesamtübersetzung kompensieren helfen. Auf der Autobahn dreht der Arocs bei unseren 84 km/h Marschgeschwindigkeit knapp 1.200 Touren – das ist direkt Fernverkehrs-Drehzahlniveau. Eine etwas kürzere Achse mit 100 Umdrehungen mehr würde dem Actros HAD gut anstehen und ihm etwas mehr Lebendigkeit am Berg verleihen.

Dennoch gehen die Verbrauchswerte und erzielten Fahrdurchschnitte des Arocs AHD in dieser Aufmachung in Ordnung. Den Renault T Optitrack kann er zwar nicht schlagen, dafür den 500er MAN Hydrodrive, der freilich auf Grund seiner Leistung einen Tick schneller über unsere überwiegend hügelige Teststrecke eilte.

Fazit: Für Handling und einfache Bedienung bekommt der Arocs HAD beste Noten. 18.500 Euro Mehrpreis nach Liste ruft Mercedes für den hydraulischen Hilfsantrieb auf und bewegt sich damit in den Preisvorstellungen der Konkurrenz. Immerhin spart man bis zu 7.500 Euro im Vergleich zur zuschaltbaren Vorderachse in ihrer Basisversion beim 4×4. Die besten Einsatzmöglichkeiten sieht der Daimler-Vertrieb bei der Aufrüstung von normalen Straßen-Sattelzugmaschinen und von Absetz- und Abroll-Fahrgestellen. Aber auch der 6×4- und der 8×4-Kipper können natürlich vom HAD profitieren. Das noch junge Konzept hat sich mittlerweile bewährt und besticht durch seine perfekte Integration in den Antriebsstrang. HAD ist für die meisten Einsätze eine veritable, kostengünstige Traktionshilfe, die sogar das Zeug hat, die klassische 4×4-Zugmaschine zu ersetzen.