Kippertest 9/2020

Scania G 450 XT 6×4 mit Zentralachs-Anhänger von Meiller

Der Dreiachskipper in der 6x4-Antriebsformel ist im Fuhrpark vieler Baufirmen der Joker. Er kann fast alles. Ist wendig als Solokipper und mit Zentralachs-Anhänger. Und er ist das optimale Zugfahrzeug für den Tieflader samt Bagger. Scanias G 450 aus der schweren XT-Reihe ist ein geradezu klassischer Vertreter dieser Gattung.

Scania Kipper G 450 XT
Der G 450 XT ist Scanias Joker-Kipper: In der schweren Ausführung und genügend kurz übersetzt (i=4,05), ist er mit Zentralachs-Hänger gut für 40 t und knapp 23 t Nutzlast. Auch vor dem Tieflader mit Bagger macht er eine gute Figur. (Bild: bd/Domina)

Ja, der 6×4 kann viel. Und weil er so viel können muss, ist er in beinahe jeder Hinsicht auch ein fahrender Kompromiss. Er muss einfach sein in der Bedienung. Jeder im Betrieb soll ihn fahren können, wenn mal hier wieder eine Fuhre Sand fehlt, eine Restmenge Aushub noch weg muss oder gar ein paar Paletten Ziegel auf der Baustelle fehlen. Letzteres bedingt freilich eine palettenbreite Kippbrücke mit versenkbaren Zurrösen – hat er – und natürlich einen Kran an der Baustelle. Schließlich sollte man eine Ladung Dachziegel dem Bauherren nicht einfach vor die Füße kippen. Für die allfällige Versendung betriebseigener Erdaushub-Maschinen wie Bagger oder Radlader ist er die Zugmaschine der Wahl. Mit dem meist dreiachsigen Drehschemel-Tieflader ist der 6×4 die wendigste aller Zugmaschinen-Alternativen und wird auch gerne so genutzt.

Unser Testkandidat entstammt der Scania XT-Reihe. XT steht für Extra Tough, also für besonders robuste und kräftige Bauweise. Das XT-Programm bedient sich – wie sollte es anders sein – eines eigenen Scania-Baukastens. Darin finden sich verschiedene Rahmenstärken und Chassis-Höhen, dem Einsatz angepasste Stoßstangen und Frontpartien sowie ein ganzer Katalog an Fahrerhäusern der R-, G- und P-Reihe. Das G-Fahrerhaus unseres Testwagens ist die mittellange Version mit flachem Dach. Das ermöglicht zum einen die Unterbringung einer klappbaren Ruheliege hinter den Sitzen, zum anderen baut der der Dreiachser nur 3,5 m in der Gesamthöhe, kann also Wege und Unterführungen nutzen, die einem höheren Zug verwehrt bleiben.

Pro & Kontra: Scania G 450 XT 6x4

robustes, vielseitig nutzbares Gesamtkonzept
Abrollkomfort
Clutch-on-demand für komplizierte Rangiervorgänge
Fahrbarkeit dank kurzer Gesamtübersetzung
kein Eco-Roll
unhandliche Rollplane

Im Alltagsgeschäft wird der 6×4 gerne mit einem Zentralachs-Kipper zusammengespannt und ist dann, wie in unserem Beispiel, für immerhin 40 t Gesamtgewicht gut. Die Nutzlast liegt als Zug bei knapp 23 t. Das ist deutlich (fast ein Viertel) mehr Nutzlast als der 8×4 bieten kann, allerdings auch etwas weniger (elf Prozent) als beim 4×2 Sattel mit dreiachsiger Rundmulde im Schlepptau. Die Anhängelast am Zugmaul ist in jedem Fall ausreichend, wenn der Bagger zur nächsten Baustelle muss. Für gute Traktion sorgt dabei die doppelt angetriebene Hinterachse. Noch bessere Traktion herrscht, wenn auch noch ein wenig Ballast auf der Brücke den Aufstandsdruck hinten erhöht.

Aber auch die Frage der Gesamtübersetzung ist hier entscheidend. Unser G 450 XT zum Beispiel ist ausgesprochen kurz und damit zugfreudig übersetzt: Für eine Rate von 1:4,05 sorgen die Zahnräder im schmal bauenden zentralen Teil (Banjo) der Achsen plus die Planetensätze in den Naben. Diese superkurze Gesamtübersetzung an den Achsen mildert ein wenig das Overdrive-Getriebe, dessen höchster Gang ins Schnelle übersetzt ist (i=0,8). Am Ende ergibt sich eine Gesamtübersetzung von 3,24 im Antriebsstrang. Nur mal so zur Verdeutlichung: Heuten haben wir im Fernverkehr Übersetzungen bis 2,3, was ziemlich lang ist. Der Motor grummelt hier bei 85 km/h mit gut 1.000 Umdrehungen gelassen vor sich hin und nimmt auch Hochlast-Momente bis runter auf 900 Umdrehungen nicht übel.

stufenlos einstellbare Bordmatic-Bordwand
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Ganz anders unser G 450 XT: Bei 85 km/h Autobahn-Marschgeschwindigkeit jubelt der 40 t schwere Schweden-Zug mit fast 1.400 Umdrehungen. Eine normale Autobahn-Steigung entlockt ihm dabei nur ein müdes Lächeln: Mit dem Leistungsangebot bei dieser Drehzahl bügelt er alles glatt und stürmt da hoch, ohne auch nur einmal schalten zu müssen. Gut – am Kindinger Berg bemüht er im oberen Steilstück mal kurz den direkt durchtreibend Elften. Das war’s aber auch schon an Schaltarbeit.

Apropos Arbeit: Davon hat der Fahrer wenig mit dem G 450 XT. Und für kitzlige Rangierarbeiten auf unsicherem Terrain hat dieser Scania ein besonderes Schmankerl verbaut: Clutch-on-demand, ein tatsächlich vorhandenes Kupplungspedal. Da kommen Erinnerungen auf. Gab es doch bei Scania zu Beginn der Ära der automatisierten Getriebe ebenfalls ein Kupplungspedal. Nur dass es damals tatsächlich beim Anhalten und Anfahren gedrückt werden musste. Dies fällt bei der neuen Clutch-on-demand weg. Aber die Fuß-Kupplung kann benutzt werden. Etwa wenn ein Rangiervorgang – zum Beispiel mit dem Tieflader am Haken – besonders feinfühliges Spiel mit der Kupplung benötigt. Eine Kupplung nach dem Motto: alles kann, nix muss. Denn ansonsten funktioniert das zwölfgängige Overdrive-Getriebe so automatisiert, wie wir das heute gewohnt sind. Hintergrund, so Scania, sind die Wünsche der Kunden: Die Nordländer sind manchmal ja richtig schwer unterwegs, mit 60 t und mehr. Da traut man dem sensiblen Kupplungsfuß des Profis bisweilen wohl mehr zu als den Algorithmen einer ausgeklügelten Schalt- und Kupplungs-Software. Wie auch immer: Wir benötigten die Kupplung zu keinem Zeitpunkt. Für schwerste Einsätze ist man damit aber bestens gerüstet.

Ähnliches gilt für das Chassis-Konzept: schwerer Rahmen, Dreiblatt-Parabelfedern an der Vorderachse, hinten ebenfalls Parabelfedern, keine Luftfederung. Lässt man den Blick auf allen Vieren von vorne nach ganz hinten schweifen, sieht man: nichts. Also jedenfalls nichts, was den freien Durchgang zwischen den Achsen auch im tiefsten Gelände behindern könnte. Ganz vorne schützt eine massive Prallplatte Ölwanne und Kühler-Unterkanten vor Feindberührung. Die Stoßstange ist ein massives Stück formgeschmiedetes Eisen, das ganz gewiss Rammbock-Eigenschaften aufweist. In der Mitte verbirgt sich, hinter dem klappbaren Nummernschild-Träger, ein Abschleppbolzen. Der Prügel ist gut für 40 t Zuglast – falls es mal ganz Dicke kommt.

Das klingt alles nach einer ganz harten Nummer, nach Arbeitspferd, bockhartem Arbeitsplatz. Die Wahrheit ist: Der XT zeigt sich auch auf Schlechtweg-Passagen als durchaus straff gefedert. Sogar das vierfach luftgefederte Fahrerhaus ist in diese Steifigkeit mit eingebunden. Erstaunlicherweise gleitet der Schwede aber fast unhörbar über Schlechtweg-Passagen mit Querfugen, wo andere lautstark drüber poltern. Ein Gutteil dieser akustischen Zurückhaltung geht wohl auf die neuen Conti-Cross-Check-Reifen zurück. Selbst als Breitschlappen der Dimension 385/65 auf der Vorderachse, rollen diese Baustellen-Pneus erstaunlich leise ab. Auch auf der Autobahn. Gefürchtetes Heulen oder Wummern bleibt hier vollständig ausgeblendet.

Die ersten paar Kilometer auf der leichten Landstraße wundere ich mich schon ein bisschen, dass der 450 XT so gar nicht an den typischen Stellen ins Segeln kommt. Ich frage mich, was er denn hat – oder, korrekterweise, was er nicht hat. Sauber ausgetrickst: Dieser XT verfügt zwar über Active Prediction, also Scanias sehenden Tempomaten. Aber Eco-Roll hat man ihm nicht spendiert. Auch hier spricht Scanias heimische, vielleicht eher konservativ orientierte Kundschaft ein Wörtchen mit: Segeln – gerne in den Schären vor Stockholm, nicht aber im Kipper auf der Landstraße. Wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Schade eigentlich.

Denn Scanias segeln in der Regel super gut und sparen damit je nach Strecke viel Sprit. Selbst ohne Retarder steuert die Software auch steilere Bergab-Passagen sauber mit der Motorbremse und herzhaft die Drehzahl hochtreibende Zweier-Gangsprünge. Braucht dieser Kamerad jetzt nicht unbedingt oft, weil er ja ohnehin schon so hoch dreht. Da reicht meistens die Rückschaltung in den Elften für Anpass-Bremsungen. Den Zehnten bemühen wir lediglich den Kindinger Berg hinunter oder das lange Gefälle ins Altmühltal runter nach Beilngries.

Hängeranschlüsse des Scania G 450 XT 6x4
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Bemerkt habe ich das fehlende Eco-Roll übrigens durch eine zunächst überaus befremdlich erscheinende Rückschaltung von Zwölf auf Zehn auf einer Kuppe. Normalerweise nimmt der Computer hier das Gas weg, leitet einen Unterschwinger von rund 57 bis 60 km/h ein, kuppelt dann aus und holt gemächlich Geschwindigkeit auf. Ganz ruhig, ganz geschmeidig. Der XT ohne Eco-Roll haut hier erst mal den Zehnten rein, um dann im Schubbetrieb ebenfalls langsam auf die eingestellte Schwungspitze zu beschleunigen. Dabei bremst er wunderbar seine 40 t mit Drehzahlen zwischen 1.300 und gut 1.700 Touren. Gut: Leise geht anders. Aber effektiv, sicher und verschleißarm ist diese Art des Gefälle-Abreitens auf jeden Fall.

Wir haben also bis jetzt einen sportlich kurz übersetzten, dem Segelsport abgeneigten Dreiachser, der erstaunlich leise abrollt, der, egal ob mit 65 oder 85 km/h, stets im höchsten Gang fährt und für die Straffheit des Chassis einen sehr akzeptablen Fahrkomfort bietet. Widmen wir ein wenig Aufmerksamkeit der Kippbrücke und dem Hänger. Beides stammt von Meiller, kommt in der gewohnt robusten Qualität in Sachen Stahlbau und vor allem Hydraulik daher. Womit ich mich aber nicht anfreunden kann, ist die Meiller-eigene Rollplane. Hatten wir schon mal, bei einem MAN D38 in ähnlicher Konfiguration: Die Bedienung ist einfach sperrig und nervt. Der Kurbelbetrieb ist schlicht ungeeignet, wenn man in gerader Linie mit einem Tandemachser steht, was beim Beladen ja meisten der Fall ist. Es ergeben sich hier viel zu steile Knickwinkel für das Gelenk der Kurbel. Und dann wird’s mühsam, das um die schwere Stange gewickelte Tuch über die aufgehäufte Ladung zu rollen. Steht der Schüttgutberg über die Kontur der Bordwand, geht gar nichts mehr. Also immer den Laderfahrer bitten, den Hügel mit der Schaufel möglichst bis unter die Ladekanten-Kontur platt zu drücken. Dann klappt’s schon mal eher mit dem Rollen. Anschließend nicht vergessen: Gummistrops einhängen, und Kurbel (ein wahres Stück der Ingenieurskunst) wieder zusammenfalten und an der Bordwand fixieren. Wenn man schon nicht auf eine Rollplane verzichten kann, könnte hier vielleicht auch eine nach oben gekrümmte Zahnstange helfen. Die Aufroll-Stange würde dann nach oben geführt und den Ladungshügel in ihrem Lauf nachvollziehen, statt mit ihm zu kollidieren. Aber richtig flott funktionieren in diesem Zusammenhang ohnehin nur elektrische Schiebeplanen.

Kurzum: Scanias 6×4 in XT-Ausführung erweist sich tatsächlich als echter Allrounder. Mit der Einschränkung vielleicht, dass häufige Autobahn-Einsätze mit dieser kurzen Übersetzung nicht anzuraten sind. Aber an zahlreichen Hinterachsen-Übersetzungen mangelt es bei Scania wahrlich nicht – da kann man die richtige schon finden. Der relativ hohe Verbrauch möge hier nicht zu stark bewertet werden. Er ist nicht nur der extrem kurzen Übersetzung geschuldet, sondern auch der Jungfräulichkeit des Testfahrzeugs. Mit nur 1.000 km auf der Uhr ist so ein Kipper mit Außenplaneten-Achsen alles andere als eingefahren.