
Volvo FMX 6×4 Electric mit Tandemachs-Anhänger von Schwarzmüller
Volvo lässt keinen Zweifel daran, dass der E-Kipper sogar mit 40 + 2 Bonustonnen funktioniert. Wir fuhren den FMX Electric 6×4 mit Tandemachs-Anhänger und stellen fest: läuft. Alles gut, auch elektrisch.

Das lässt sich doch mal gut an: volle 40 t mit einem elektrischen Kipper-Zug. Volle Last, und das über die ganze Runde. Als Zugfahrzeug reüssiert der Volvo FMX 6×4 Electric, als Hänger zieht er einen Zentralachs-Dreiseitenkipper von Schwarzmüller. Der 6×4- Kipper trägt einen Meiller-Trigenius-Aufbau mit Bordmatic links – er ist der klassische Joker im Fuhrpark. Kommt er aus Volvos FMX-Baureihe, gilt er als besonders robust: starker Rahmen, extrem starke Fronttraverse, dreigeteilte Stoßstange mit Eckpanzerung aus Schwedenstahl. So weit, so stabil. Ein wenig irritierend die Seitenansicht: Zwischen Lenk- und erster Antriebsachse fordern die Batteriepakete – sechs an der Zahl – mächtig Raum. Ein Race-Truck bietet ähnlich geringe Bodenfreiheit zwischen den Achsen. Aber irgendwo müssen sie ja hin, die Batterien.
Und da stellt sich gleich die nächste Frage: wie schwer wir denn sind und was denn da noch an Nutzlast übrigbleibt. Erstaunlich viel, wie ein Blick ins Kipper-Archiv verrät: Ein vergleichbarer 6×4 mit Dieselmotor – die Marke tut hier nichts zur Sache, die sind alle in etwa gleich schwer – bringt als 6×4-Dreiseitenkipper um die 12,5 t auf die Waage. Leer, versteht sich. Bei unserem FMX Electric-Zug lesen wir 19.620 kg auf der Digitalanzeige der Waage. Abzüglich 4.440 kg für den Hänger bleiben 15.180 kg (ohne Fahrer) für den Solo-Elektro-6×4. Das sind gerade mal 2,7 t Mehrgewicht für den E-6×4. So. Das Gewicht der Batterien gibt Volvo mit 500 kg pro Paket an, macht bei sechs Paketen also 3 t. Das hieße wiederum, dass der E-Antriebsstrang samt aller Konverter, dicker Kupferkabel, I-Shift-Getriebe und dreifach E-Motor insgesamt sogar um die 300 kg leichter wäre als die Dieselvariante im Bereich um 500 PS Motorleistung. Das Mehrgewicht geht also volle Lotte auf die Batterien.

Aber: Wir haben ja die zwei Bonus-Tonnen für den E-Antrieb. Bleiben also letztlich nur rund 700 kg Nutzlast-Nachteil für den E-Kipper in dieser Konfiguration. Diese 700 Kilo könnte man jetzt mit etwas Überladung noch reinholen, rein rechnerisch läge man dann bei 1,7 Prozent zwar noch im halbwegs grünen Bereich – aber ob der kontrollierende Beamte das auch so sieht? Wenn man allerdings weiß, dass E-Antriebe belastungsmäßig eher auf Kante genäht sind, lässt man von jeglichen Nutzlast-Optimierungen von vorneherein ab: Überlast bedeutet beim E-Antrieb ganz schnell Über-Temperatur im Motor, in den Zuleitungen und in der Hochvolt-Elektronik. Also lieber mal schön konform fahren.
Macht ja auch Spaß und verdient sein Geld, vor allem mit diesem gut ausgestattetem FMX Electric. Er hat alle wichtigen Assistenz-Systeme an Bord, vor allem, was die Sicherheit angeht, wie etwa den Seitenkollisions-Vermeider, der Radfahrer und Fußgänger schützt oder den Spurwechselassistent, der warnt, wenn beiderseits der eigenen Spur Ungemach in Form anderer Verkehrsteilnehmern im Toten Winkel droht. Vor allem funktioniert Volvos I-See auch im E-Kipper ganz hervorragend – davon später noch mehr.
Was haben wir noch? Mirror-Cams – genau: funktionieren gut, klares Bild, mit praktischen Direkttasten direkt am Monitor. Und: Zumindest die zwei Kameraaugen im linken, fahrerseitigen Ausleger lassen sich, falls durch Spritzer plötzlich erblindet, mit einem Lappen schnell wieder reinigen. Denkt man gar nicht dran, kann aber in der Schottergrube schon mal passieren.

Meillers Trigenius-Dreiseitenkipper kommt hier in Vollausstattung zum Einsatz: Elektrische Rollplane mit Schutzdach, alle Funktionen steuert die I.S.A.R.-Funk-Fernbedienung. Auch die Rollplane des markenfremden Hängers. Allerdings erst, nachdem der Test-Expert von Volvo einen Stromanschluss gezaubert hatte. Der FMX war für so viel Hänger-Komfort gar nicht vorbereitet. Ein zusätzliches Kabel – und gut ist es.
Wie ist das jetzt mit der Kipphydraulik beim E-Kipper: Gibt es da einen Nebenabtrieb am Getriebe-Ausgang? Im Falle des FMX gibt es den tatsächlich, etwa in 18-Uhr-Position am Ende des I-Shift-Getriebes. Der kann viel und könnte zum Beispiel auch einen Abroll-Haken bedienen, der viel mehr Power benötigt als ein schlichtes Kipper-Manderl (= Teleskop), das mit vergleichsweise wenig Hubmoment auskommt. Im Hydraulik-Betrieb liefe dann auch die geballte Kraft des E-Antriebs mit drei Motoren, wird durchgeleitet über etliche Zahneingriffe. Unnötig in diesem Fall. Hier reicht ein dezentral montierter Hochvolt-Nebenabtrieb, der während der Arbeit gerade mal 37 kW aus der Fahrbatterie zieht. Während der herkömmliche Nebenabtrieb am Getriebe um die 100 kW ziehen würde, wäre er denn in Benutzung. Der externe Nebenabtrieb spart also Strom, wiegt aber einiges. Kräftige E-Motoren sind halt nicht leicht: 83 kg gibt Volvo in den technischen Daten an. Mehrgewicht für den getriebeseitigen ePTO: gerade mal 13 kg. Ja, E-Technik ist schwer.
Gar nicht schwer ist dagegen die Bedienung der Kipper-spezifischen Funktionen des elektrischen FMX. Beispiel Differenzialsperren: Da gibt es den bewährten Drehregler in der Mittelkonsole. Gut erreichbar ist er, die Sperrfolge beim Drehen logisch: erst längs dann quer. So will es der Brauch, macht ja auch Sinn. Schön anzusehen: Die Anzeige im Cluster, die zuerst die Vorwahl und – wenn eingerastet – den Vollzug der Sperren anzeigt. Gleich daneben lässt sich mit einem Tastendruck die Traktionskontrolle (TCS) abschalten, wenn’s mal rutschig wird und selbst durchdrehende Antriebsräder noch Sinn machen, um in Bewegung zu bleiben.

Vernünftigerweise haben sich die Volvo-Ingenieure nicht dazu verleiten lassen, eine so wichtige Funktion wie die Aktivierung der Kipphydraulik ins digitale Touchscreen-Nirwana zu verlegen. Stattdessen gibt es einen ausfallsicheren Kippschalter mit Kontrollleuchte. Ein und Aus muss eindeutig und jederzeit schaltbar sein. Sehr gut.
Wir lassen uns je 10 t 16/32er-Schotter auf Motorwagen und Hänger schütten und drehen noch ein paar Handling-Runden im Steinbruch. Klar: Derart ausgelastet, federt der FMX ganz komfortabel, da klappert nichts – aber das war auch bei Leerfahrt schon so. Die steile Rampe aus der Grube schaltet das I-Shift sogar einmal herunter, um in Schwung zu bleiben. Der Schaltvorgang erfolgt fast unmerklich, I-Shift schaltet auch im E-Truck superschnell. Traktionstechnisch sind die hiesigen Steinbrüche keine Herausforderung. Der Boden ist vor allem im Sommer festgebacken wie Beton. Nur ein Platzregen kann da für Spannung sorgen, wenn sich der feine Jura-Staub in eine glitschige Masse verwandelt. Dann sind auch hier die Sperren angebracht. Heute nicht, heute scheint die Sonne, alles fest und griffig.
Das enorme Antriebsmoment beim Anfahren etwa in einer Steigung zu begrenzen, ist bei den E-Trucks absolut notwendig. Der FMX beherrscht derlei perfekt und unauffällig. Diese Feinheit der Kraftentfaltung setzt sich auf der Straße fort. Klar, wenn man es wollte, könnte man im Performance-Modus E-typische Beschleunigungsorgien durchaus vollziehen. Derjenige, der die Reifen bezahlen muss, wird das nicht gerne sehen. Das haben sich auch die Volvo-Programmierer zur Regel gemacht und dem FMX ein feines Management zur moderaten Leistungsentfaltung eingepflanzt. Dennoch beschleunigt unser gut 40 t schweres Gespann auf der Landstraße sehr befriedigend und lässt nie den Gedanken an ein eingeschnürtes Leistungsangebot aufkommen.
Einmal mehr zeigt sich Volvos GPS-Tempomat I-See ausgesprochen vorausschauend und perfekt regelnd. Offenbar weiß I-See auch, dass es hier einen E-Truck zu steuern gilt, denn das Rekuperationsverhalten ist nicht anders als vorbildlich zu nennen. Und auch der neu eingeführte ein- oder zweimalige Tipp aufs Bremspedal passt in diese praxisnahe Fahr-Philosophie. Einmal kurz das Bremspedal getippt: Der FMX nähert sich rollend und nur leicht rekuperierend einem Kreisverkehr. Beim zweiten Tipp verstärkt sich die Rekuperationsbremse, schöner kann man Strom nicht erzeugen. Ein kurzer Gegentipp aufs Gaspedal beendet diese Art der Bremsung und lässt den FMX wieder frei rollen. Auch cool: In starken Steigungen pendelt I-See die Fuhre so ein, dass maximal viel Rekuperations-Strom in die Batterien fließt. Droht die Fuhre dennoch zu beschleunigen, sorgt Brake Blending automatisch für eine kurze Beibremsung. Sehr fein geregelt das Ganze.
Robert Domina
bd-Nutzfahrzeug-Experte, Pietenfeld
Alles kann, nix muss – falsch: jetzt muss, und zwar schnell. Der E-Lkw für die Bauwirtschaft ist reif. Die Routen für diesen Einsatz liegen im Tagesdurchschnitt weit unter 300 km, der Gewichtsnachteil ist dank des 2-t-Bonus verschmerzbar. Die von uns ermittelten Verbräuche beziehen sich ja immer auf eine voll beladene Runde. Leer zurück ist ja die Regel, die wahren Kipper-Reichweiten sind also erheblich größer. Die Tagesreichweite ist deshalb mittlerweile für die meisten Nahverkehrs-Einsätze locker ohne Zwischenladung machbar. Und dann reicht Depotladung, also zu Hause und über Nacht. Letzteres ist wichtig, weil für die Übernacht-Ladung nicht unbedingt Mega-Strommengen aus dem Netz nötig sind. Wer den Ladevorgang in die Länge ziehen kann, ist da klar im Vorteil. Da reichen für eine Vollladung über zehn Stunden auch 50 kW Ladeleistung pro Truck. Voraussetzung für die wirtschaftliche Verträglichkeit wäre zudem ein vernünftig niedriger Strompreis – aber selbst mit 38 ct/kWh bleibt es schwierig.
Es sei denn, man ist nicht nur Fuhrunternehmer sondern gleichzeitig Energie-wirt und hat seine gesamten Dachflächen mit Solar zugepflastert. Ach so, ja stimmt: Nachts scheint die Sonne ja nicht. Eine Speichereinheit im 20-Fuß-Container- Format braucht es ja auch noch. Dann, ja dann könnte sich das vielleicht rechnen. Könnte man die eigene Werkstatt vielleicht einsparen? No way! Wer macht dann die Bremsen, die Hydraulik, wer schweißt die kaputten Brücken und so weiter? Und haben wir eigentlich schon Leute mit Hochvolt-Fortbildung? Nein? Könnte also eng werden. Ganz so einfa(Bild: bd/Domina)ch ist es eben nicht. Aber Schritt für Schritt? Schön langsam? Könnte und muss sogar funktionieren. Aber eben nicht schnell. Dennoch ist die Bauwirtschaft schon heftig am Elektrifizieren. Mini-E-Bagger sind schwer im Kommen, jedenfalls vermitteln die einschlägigen Messen dieses Bild. Ich bin da positiv. Der E-Kipper ist fertig. Also muss er kommen. Lieber heute als morgen.
Was das Geräusch angeht, so zeigt sich der Michelin X-Works auf der Vorderachse als ziemlich laut singend, was diesem FMX die Geräuschmessung mit 60 dB schon bei 65 km/h und 63 dB auf der Autobahn ziemlich verhagelt. Für einen E-Truck ist das schon laut, schließlich ist vom elektrischen Antriebsstrang so gut wie gar nichts zu hören.
Kurzum: Bei diesem FMX macht sich Volvos vergleichsweise lange Erfahrung mit elektrifizierten Bau-Trucks eindrucksvoll bemerkbar. Auch mit den mittlerweile als veraltet geltenden Lithium-Nickel-Cobalt-Batterien zeigt der E-FMX als 6×4 im schweren Einsatz eine beeindruckende Gesamt-Performance. Mit Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus mit ihrem höheren Nutzungsgrad der eingelagerten Energie wäre die gleiche Reichweite von gut 300 km bei ständiger Voll-Beladung sicher mit einem Batterie-Paket weniger machbar. Ohne Zwischenladung versteht sich. Das wären 500 kg weniger Akku-Gewicht. Damit schrumpfte der Nutzlast-Nachteil dann fast auf Null. Die nächste Generation Volvo-E-Trucks steht schon in den Startlöchern, mit E-Achse für den Fernverkehr und anderer Zell-Chemie, vermutlich also mit LiFePo-Akkus, wie bei der Konkurrenz schon üblich. Eines ist aber auf jeden Fall zu konstatieren: Der E-Truck für den Baustoff- und Baustellen-Einsatz ist jetzt schon ready to roll.
Pro & Kontra: Volvo FMX 6×4 Electric

