Fahrbericht 6/2020

DAF Hydro-Traktionshilfe Paul Xtra Power

Die mit hydraulischen Radnabenmotoren angetriebene Vorderachse hat viele Namen. Bei DAF heißt sie jetzt PXP – Paul Xtra Power. Federführend mit dem renommierten Fahrzeugbauer Paul aus dem niederbayerischen Vilshofen entwickelte DAF seine Version der Hydro-Traktionshilfe. Der bd baumaschinendienst durfte die neue Vorderachse jetzt zuschalten.

DAF Hydro-Antrieb Paul Xtra Power
Auch DAF kann jetzt einen Hydro-Antrieb als Traktionshilfe für die Vorderachse liefern, Entwicklungspartner ist Paul Nutzfahrzeuge aus Vilshofen. Beim Anfahren in der Steigung, beladen, verrät der Profilabdruck: Hier dreht nichts durch, sondern es ist Zug drin. (Bild: bd/Domina)

Wenn die hydraulischen Radnabenmotoren loslegen, ändert sich die Akustik vernehmlich: PXP arbeitet jetzt. Mit steigender Raddrehzahl wird der Ton höher und auch etwas lauter. Das Geräuschniveau außen bleibt bei aktiver Paul ‘scher Xtra Power gleichwohl sehr im Rahmen. Es gibt lautere Hydro-Antriebe. Sehr geschmeidig hört sich das nicht nur an, es arbeitet auch so. Unser Instruktor und DAF Produkt-Ingenieur Uwe Müller zeigt wie’s geht: Einfach den Schalter mit dem Lenkachsen-Symbol und dem PXP-Schriftzug drücken, schon ist der Vorderachs-Antrieb aktiviert. „Am besten schon einschalten, wenn man in unsicheres Terrain einfährt“, meint er. Und hat natürlich recht. Wenn man im Gelände erst mal steht, wird’s mit dem Wiederanfahren nicht einfacher. Obwohl auch das natürlich geht. Anders als die Differenzialsperre, die erst mal eine Zahnlücke zum Einrasten finden muss, liefert ein hydraulischer Radnabenmotor sofort Drehmoment, wenn der Öldruck anliegt.

Das brauchen wir jetzt auch. Die Radlader-Profis vom Kieswerk Hans Wolf bei Straubing haben uns ein anspruchsvolles Gelände mit (Un-)Tiefen sowie Ein- und Ausfahrrampen hergerichtet. Das Material, das hier abgebaut wird ist relativ feinkörniger Kies, vermischt mit Sand und etwas Ton. In lockerer Schüttung und mit viel Wasser drin wie heute, kann man hier sehr leicht absaufen. Vor allem, wenn der Fahrwiderstand plötzlich ansteigt, etwa an einer Rampe, aber auch im ebenen Grubengrund in einer engen Kurve zum Ladeplatz. Dann zerren die Aufliegerachsen spürbar und wollen die Zugmaschine am Weiterkommen hindern. Genau dieses Terrain ist ideal für Traktions-Grenzerfahrungen.

Pro & Kontra: DAF/Paul-Hydroantrieb

hoher Grad an Standard-Teilen
belastbarer, offener Ölkreislauf mit hohen Reserven
kompakte, übersichtliche Bauweise
Steuermodul
Leitungsverlegung
relativ hohes Systemgewicht
akustisch auffälliges Entkoppeln in den Standby-Modus

Bevor wir unsere Ladung Deponie-Erde oben am Grubenrand der Planierraupe vors Schild schütten, checken wir das Anfahrpotenzial an den zwei unterschiedlich steilen Rampen: Beim Anfahren rückwärts die Rampe hinauf – warum auch immer man das tun sollte – findet die 4×2-Zugmaschine sehr schnell ihre Haftgrenze. Wir schalten die Vorderachse dazu. Zum Anfahren aus dem Stand kann man nun den Hillholder nutzen, oder – wenn man’s kann – gegen den Federspeicher starten. Wir bemühen den Hillholder und geben durchaus beherzt Gas. Sofort spürt man die zusätzliche Antriebskraft an den Vorderrädern. Zugute kommt in dieser Situation, dass sich bei Rückwärts-Fahrt die Vorderachslast dynamisch verstärkt. Wir schaffen es fast bis zur Kante, dann ist hier an der steilen Rampe mit geschätzt acht bis zehn Prozent Steigung auch mit PXP erst mal Schluss, die Haftgrenze zwischen Reifen und Untergrund ist einfach überschritten.

Wir gehen das Ganze mal vorwärts an, wie es sich gehört. Und zwar an der etwas flacheren und schön langen Ausfahr-Rampe: Der Boden ist hier relativ fest, aber mit oberflächlichem Matsch bedeckt. Anfahren im unteren Drittel der Steigung ohne PXP: keine Chance, sogar mit gesperrter Hinterachse geht hier nichts mehr. Nach Zuschalten von PXP nimmt der Zug sofort Fahrt auf. Von außen beobachtet, kann man förmlich sehen, wie die Vorderräder zusätzlich anpacken. Und das Erstaunliche: Weil wir vergessen haben, im Traxon-Getriebe M wie manuell zu wählen, schaltet das automatisierte Getriebe blitzschnell in den nächsthöheren Gang. Solange das nur bis zum Vierten geschieht ist alles gut. Dann bleibt PXP aktiviert und es geht vorwärts. Über 20 km/h und ab dem fünften Gang schaltet PXP in den Standby-Modus. Je nachdem, ob der MX 11 oder der 12,8 l große MX 13 unter der Kabine schafft, sind auch die Grenzdrehzahlen unterschiedlich. Beim MX 11 ist der Arbeitsbereich fürs PXP auf Drehzahlen unter 1.600/min begrenzt, beim MX 13 sind es 1.750 Touren.

Kurvenfahrt mit dem DAF Paul-Hydroantrieb
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Am Ende der Rampe steigt naturgemäß auch die Geschwindigkeit und die Automatik schaltet in den Fünften. Mit der Folge, dass sich PXP erst mal in Standby verabschiedet. Und das nicht gerade leise. Das plötzliche Ausrücken der zehn Radialkolben im Radnabenmotor verursacht einen nicht zu überhörenden Knall. Doch Uwe Müller ist die Ruhe selbst: „Ist völlig normal. Da fahren nur die Kolben aus dem Wellenring.“ Und das ziemlich schnell, deshalb klinge es zwar sehr mechanisch, sei aber ein reiner Hydraulik-Vorgang. Lassen wir mal so stehen.

Ab geht‘s zum Kippen. Wir wollen erst mal unsere Deponie-Erde loswerden und überlassen Uwe Müller das Steuer. Gerade schiebt er rückwärts in die doch ziemlich weiche Schüttung. Dank der Planierraupe muss gar nicht so nah an der Kante abgeladen werden. Uwe aktiviert den getriebeseitigen Nebenabtrieb für die Kipphydraulik und fährt die Meiller-Mulde hoch. Jetzt sieht man auch, warum beim Abkippen die Hinterachse der Zugmaschine schnell Traktionsprobleme bekommen kann: Ist die Mulde ganz oben, wird sie stark entlastet, gut zu erkennen am weiten Abstand zwischen Kotflügel und Reifen; die Vorderachse dagegen wird belastet. Ganz klar ein Fall für PXP, denn Uwe bleibt beim Vorziehen mit noch stehender Mulde nach aussichtsloser Schlammschlacht mit durchdrehenden Rädern stecken. Nach kurzem Funkspruch aktiviert er PXP und zieht kontrolliert vor.

Und so geht es weiter: Leer durch den schlammigen Grubengrund – kein Problem, auch nicht scharf ums Eck. Dann packen wir uns wieder an die 27 t Kies-/Sandgemisch drauf. Die gleiche Kurve nochmal. Beladen heißt es schlicht: drauf bleiben. Und gut auf die Maschine hören, die Drehzahl sollte hier nicht zu stark in den Keller gehen, dann schon lieber bis zur erwähnten Begrenzung drehen lassen. Aber auch beladen gräbt sich der CF dank PXP souverän durch den tiefen Boden, obwohl der Fahrwiderstand des Trailers kräftig zerrt und bremst.

Fazit: PXP funktioniert. Und zwar offensichtlich ausgesprochen schonend für Mensch und Material. Das offene System reagiert sehr schnell und trotzdem weich und wohldosiert auf die Lastanforderung mit dem Gasfuß. Selbst eventuelles Hochschalten nimmt dieser Antrieb dank extrem kurzer Schaltzeiten nicht übel.

Szenenwechsel: Das neue Werk von Paul nahe Vilshofen. Hier treffen wir die Entwickler und dürfen uns den Antrieb im Detail anschauen. Dass sich die Niederländer ausgerechnet den Fahrzeugbau-Spezialisten Paul aussuchten, darf als weise Entscheidung goutiert werden: Was Achsen und Antriebstechnik angeht, können die Niederbayern praktisch alles. Zusatzachsen in jeder Form sind nur ein Spezialität. Umbauten in die Länge und jede andere Richtung gehören zum Tagesgeschäft, die Umrüstung von Diesel-Chassis auf E-Antrieb ist eine relativ neue Disziplin.

Der Auftrag von DAF lautete kurz: Baut uns einen Hydro-Antrieb. Aber bitte einfach, betriebssicher und mit so wenig Spezialteilen wie nur möglich. Wiegen darf das Ganze wie immer auch nichts, und kosten natürlich auch nichts. Alles natürlich relativ: Denn ohne eine kräftige Hydraulik-Pumpe am motorseitigen Nebenabtrieb, ein paar Liter (genau 55) Hydrauliköl, Ventilblöcke, ein wenig Elektronik und schließlich den beiden Radnabenmotoren, dreht sich da vorne nun mal nichts. Gleichwohl erfand Paul den Hydro-Antrieb an vielen Stellen quasi neu. Und tatsächlich mit vielen Standardteilen (Pumpe, Poclain-Radnabenmotoren), ergänzt von ein paar Spezialitäten. So forderte gerade die Gestaltung des Steuerblocks den Entwicklern um Leiter Andreas Süß einiges ab. Lohn der Arbeit: Ein sehr kompakter Steuerblock, der platzsparend, effizient und mit übersichtlichen Anschlüssen nur wenig Platz im aufgeräumten PXP-Modul am Rahmen einnimmt.

ndreas Süß, Leiter der Entwicklung bei Paul
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Entscheidend bei PXP ist die Arbeitsweise als offenes System. Das bedeutet: Im Standby-Modus fließt schon relativ viel Öl durch die Leitungen, so mit 100 bar. Bis zu 260 l pro Minute werden durch die armdicke Ansaugleitung zwischen Tank und Pumpe gespült. Alles zum Zweck einer praktisch verzögerungsfreien und proportional zum Gaspedal arbeitenden Ansprech-Charakteristik. Denn darauf kommt es an: Genau dann Zugkraft in den Vorderrädern zu erzeugen, wenn der Gasfuß das einfordert. Das entscheidende Steuerventil, das die Gaspedal-Befehle umsetzt – je nach Schlupf an den Rädern – sitzt unscheinbar auf dem Steuerblock, ist aber enorm wichtig für die Steuerungsqualität. Damit Mechanik, Hydraulik und Elektronik perfekt zusammen spielen, gibt es dazu ein integriertes Diagnose-System dazu entwickelt. Wie die gesamte Steuer-Elektronik liegen die Schnittstellen fürs Diagnose-Tool, für den Fahrzeug-Can-Bus und die Diagnose-Stecker direkt in und um die Zentralelektrik des CF- und XF-Cockpits. Das Ganze macht einen sehr soliden und hoch integrierten Eindruck.

Mit rund 540 kg Mehrgewicht im Vergleich zur reinen 4×2-Sattelzugmaschine, ist PXP zwar etwas schwerer als vergleichbare Konkurrenz-Systeme – Mercedes gibt 400 kg für seinen HAD an – aber das Ganze wirkt ausgesprochen solide verarbeitet, langlebig und thermisch belastbar. Immerhin um die 20.000 Euro Mehrpreis ruft DAF für PXP auf, dafür bekommt der Kunde aber offensichtlich einen gründlich entwickelten und sorgfältig applizierten Hydro-Antrieb für die Vorderachse. Momentan zwar nur für die 4×2-Zugmaschinen der CF- und XF-Reihe, bis Ende des Jahres sollen aber auch 8×4- und 6×4-Fahrgestelle dazu kommen. Dass letztere übrigens durchaus von PXP profitieren können, offenbarte uns der zufällige Hängenbleiber eines Kipper-Kollegen mit 6×4-SZM und Zweiachs-Kippauflieger: Selbst geradeaus kam der Actros nach dem Kippen nicht mehr von allein aus dem Quark – die Raupe musste ran.