
Elektro-Trucks von MAN wie gemacht für den Bauverkehr
Ein hochmoderner E-Antriebssatz und ein flexibler Batterie-Baukasten verwandeln TGS und TGL in praxisgerechte Elektro-Bau-Trucks für den regionalen Baustoff-Transport. Wir durften schon mal Probe fahren.

Nach diesem Tag MAN Driving Experience ist für mich klar: Der regionale Bauverkehr ist schlicht das Einsatzgebiet für den E-Truck. Und zwar, weil eTGS, eTGM und eTGL es können: Nahezu geräuschlos in Städten agieren, emissionsfrei und ohne Einschränkungen durch hydraulisch betriebene Aufbauten wie Kräne oder Kipper. Wobei Letzteres noch durch konkrete Messwerte zu belegen wäre. Auch wenn die Entwickler und Testabteilungen immer behaupten, dass ein Kippvorgang „so gut wie gar nichts“ aus den Akkus zieht – das ist noch zu beweisen.
Die Test-Trucks, die die MAN-Crew hier auf den weiten Plätzen des Audi-Testzentrums in direkter Nachbarschaft der riesigen Lufthansa-Wartungshallen am Münchner Flughafen aufgereiht hat, repräsentieren das derzeit oder ab 2026 verfügbare Angebot MANs an E-Trucks für die regionale Bauwirtschaft. Da sind zwei Kippsattel eTGS (das S steht nach wie vor für schmales Haus), der eine mit 42 t Gesamtgewicht gut ausgeladen, der andere mit nur 32 t GG. Plus eine Reihe weiterer eTGS als 4×2- und 6×2-Fahrgestelle mit Kipper oder Absetzkipper als Solo-Fahrzeuge. Zwei eTGS mit Planenaufliegern für den nationalen Fernverkehr ergänzen die Flotte.

Was beim Fahren sofort auffällt: Egal in welchem dieser Trucks – der Antrieb ist unglaublich leise. Was dadurch naturgemäß noch mehr auffällt, sind Windgeräusche, die bei Autobahngeschwindigkeit Abroll- und Antriebsgeräusche komplett überlagern. Das Rauschen kommt überwiegend aus Richtung Sonnenblende. Die gefärbten Acrylglas-Profile sorgen mit ihren Halterungen für viel Luftwiderstand. Im Nahverkehr aber kein wirklich wichtiges Thema.
Auch bemerkenswert: Die Testfahrzeuge wirken so gar nicht agil im sportlichen Sinne. Fast ein wenig spaßbefreit, was das Beschleunigungsvermögen und spontanen Leistungsabruf angeht. Auch auf Kickdown-Befehle reagieren weder die Kippsattel, noch die Solo-Kipper beim Hochbeschleunigen in die Autobahn. Der Schalter unterm Gaspedal ist zwar da, nicht aber der Leistungskick, um schneller auf Speed zu kommen, noch nicht mal im Power-Modus. Dieses „Leistungsangebot der Vernunft“ mag vielleicht den Fahrspaß, wie ihn Pkw-Fahrer verstehen, außen vor lassen. Aber: Ein Truck ist nun mal eine Arbeitsmaschine und kein Sportwagen. Dazu kommt, dass gerade Baufahrzeuge sehr nutzlastsensibel sind. Um den Zielkonflikt zwischen Reichweite und Nutzlast optimal lösen zu können, hat MAN seinen E-Baukasten sehr flexibel gestaltet.
Da sind einmal die Batteriepakete: Zwar gibt es nur ein einziges 80-kWh-Batteriepaket, das aber schon mal in drei verschiedenen Quaderformen, alle konfektioniert im Nürnberger Motorenwerk. Die 80 kWh sind bereits die nutzbare Netto-Kapazität, rein Brutto sind 89 kWh. Das entspricht einem sehr hohen SOC-Level von 90 Prozent. Kombinierbar sind die Pakete relativ beliebig. So kommt der 12-t-Liefer-Truck auch mit nur zwei Paketen aus, was bei einem angenommenen Verbrauch von 60 bis 70 kWh/100 km eine Reichweite von gut 200 Kilometern erlaubt. Die meisten Liefer-Einsätze liegen pro Schicht oft deutlich darunter.

Bei den schweren Jungs, etwa dem 4×2-Kippsattel oder jeder anderen eTGS/TGX-Zugmaschine kann der Kunde zwischen vier, fünf oder sechs 80-kWh-Blöcken wählen – je nachdem, was er für Tages-Reichweiten abdecken muss. Das ist nicht nur sehr flexibel, sondern auch sehr fair. Immerhin wiegt ein Batterie-Paket um die 800 kg und kostet – in der Branche geistern Preise zwischen 200 und 250 Euro pro kWh umher, was zwischen 16.000 und 20.000 Euro für ein Paket bedeuten würde. Da MAN aber über seine eigene Batteriefertigung verfügt, dürften die Gestehungspreise hier etwas niedriger liegen. Wie auch immer: Meist kauft der User ja keinen E-Lkw, sondern nutzt ein wie immer gestaltetes Mietmodell. Insofern zählen also eher die Total Costs of Ownership. Und die liegen – dank der unschlagbaren Effizienz der batterieelektrischen Trucks – sehr günstig. Wenn ein vernünftiger Strompreis zwischen 35 und 38 Cent/kWh zugrunde liegt.
Wie schon angedeutet: Von der Leistungsentfaltung her fährt der eTGX, jedenfalls unter der Regie des GPS-Tempomaten Efficient Cruise, wie ein sehr vernünftig agierender, geschulter Fahrer: keine Beschleunigungsorgien, enorme Vorausschau, hohe Rekuperationsraten. Die neueste Version berücksichtigt sogar Infrastruktur, die sich auf der Route in den Weg stellt. Das können Abzweiger, Kreuzungen oder Kreisverkehre sein, auf die Efficient Cruise zunächst mit Gaswegnahme und Rekuperation reagiert, kurz vor dem Ereignis mit Abschalten des Tempomats. Anders als Interurban PPC von Daimler kann der MAN also nicht (bis auf die Lenkbewegung) einen Kreisverkehr durchfahren, das muss der Fahrer dann selber abschätzen. Trotzdem ein gutes System, genauso wie der Lenkassistent Cruise Assist, der den Truck zuverlässig in der Spur hält, wenn der Chauffeur mal in der Aufmerksamkeit nachlässt. Auch davor wird im Wiederholungsfalle gewarnt und eine Kaffeepause angemahnt.
Was dagegen ein wenig nervt ist die Trägheit der Tasten + und – des GPS-Tempomats. Was das System unter einer Sekunde Tastendruck für einen 5-km/h-Sprung versteht, kann man nur schätzen. Die Folge ist dann wildes Tippen rauf und runter, um seine 65 oder 85 km/h einzustellen. Die gute Nachricht: Bei Druck auf Resume stellt der Tempomat nicht wie Mercedes und Volvo die gesetzliche Geschwindigkeit ein (also zum Beispiel 60 km), sondern die zuvor vom Fahrer gewählten 65 km/h. Sehr gut – damit fallen die langen, aber wenig zielsicheren 5-km/h-Schritte schon mal weg.
Respekt nötigt einem die völlig neu entwickelte E-Motor-Antriebseinheit ab. Es gibt derzeit wohl kaum einen kompakter bauenden E-Antrieb für schwere Trucks, die verschiedenen E-Achsen auf dem Markt eingeschlossen. Da ist ein relativ schlank bauender E-Motor, direkt daneben ein Viergang-Getriebe (beim 12-Tonner mit nur zwei Gänge) und darüber gebaut der Inverter mit der Leistungselektronik. Anders als in Reihe angeordnete E-Motor-/Getriebe-Einheiten baut dieses Paket sehr kurz und bietet dadurch enorm viel Freiheitsgrad bei der Platzierung im Rahmen.
Dazu kommt jetzt die sehr flexible Unterbringung der bis zu sechs Batteriepakete (bei langen Chassis bis zu sieben) mit bis zu 480 kWh (560 kWh). Für alle schweren Baumuster gilt bei der Platzvergabe: Zwei Pakete sitzen immer im Chassis, eines über der Vorderachse, das zweite genau dahinter. Die bis zu vier weiteren Pakete finden dann links und rechts am Chassis ihren Montageplatz. Das Frontend mit den zwei Paketen ergänzen noch Kühler und Heizungs-Peripherie. Das Ganze wirkt zumindest optisch etwas kopflastig und dürfte über der Vorderachse etwas schwerer sein als eine gängige Dieselmotor-Getriebe-Kombination – da ist MAN in guter Gesellschaft mit den Konkurrenten. Und es braucht kräftige Vorderachsen, die bei MAN Luft- oder Parabel-gefedert sein können.
Mit jedem gefahrenen eTGX verfestigt sich der Eindruck: Das passt. Es hat zwar etwas gedauert, aber dieser E-Antriebsstrang wirkt sehr gut durchdacht. Zumal die Nebenabtriebs-Möglichkeiten recht vielfältig ausfallen: Einen Abgang gibt es direkt am E-Motor auf Neun-Uhr-Position, ein elektromechanischer Nebenabtrieb (emPTO) kann als fertiges Modul irgendwo am Rahmen angebaut werden. Aber allein die superkompakte Motor-/Getriebe-Einheit setzt hier neue Maßstäbe. Gut Ding will eben Weile haben.