Kippertest 9/2021

Losfahren und wohlfühlen

Die X-Way-Serie steht bei Iveco für den leichten Bau-Einsatz ohne große Gelände-Ambitionen. Ergänzt mit dem hydraulischen Vorderachsantrieb Hi-Traction mutiert der X-Way zwar nicht gleich zur geländegängigen Bergziege. Aber der Zugewinn an Traktion verheißt Einsatzsicherheit bei gleichzeitig wenig Totgewicht. Wir haben den X-Way mit 480 PS aus nur gut 11 l Hubraum über unsere topografisch anspruchsvolle bd-Kipperrunde gelenkt.

Iveco X-Way
Das X beim X-Way steht für leichtes Baufahrzeug. Und so ist dieser 480er mit Cursor-11-Motor als Straßenkipper ausgelegt: einfach übersetzte Hinterachse mit normal langer Übersetzung, Direktganggetriebe. Für sichere Traktion auf Baustellen sorgt Hi-Traction, Ivecos hydraulischer Vorderachsantrieb. Er ist einfach in der Anwendung und hilft vor allem bei Leerfahrt, kritische Traktionsmomente zu meistern. (Bilder: bd/Domina)

Das ist natürlich sinnvoll: 6.180 kg Vorderachslast im Leerzustand – ein sehr brauchbarer Aufstandsdruck, wenn es traktionsmäßig eng wird. Und das geht ja schnell: raus aus der Ablade-Grube, es hat geregnet, alles ist rutschig. Wenn da jetzt die Vorderachse mithilft, hat man gewonnen. Oder bleibt nicht hängen. Warum das hier so betont wird: Weil im Allgemeinen das Potenzial einer angetriebenen Vorderachse – hier das Hi-Traction-System von Iveco – sehr überschätzt wird. Um Antriebskraft zu übertragen, braucht es nämlich nicht nur angetriebene Räder. Sie sollten auch mit möglichst viel Gewicht beaufschlagt sein. Beides haben wir hier – durchaus nicht selbstverständlich.

Es kommt wie immer auf den Einsatz an: Hi-Traction (oder HAD von Mercedes, Hydro-Drive von MAN, Optitrac von Renault oder PXP von DAF) ist sicher nicht geeignet, sich durch tiefen Matsch zu fräsen, wie das eine konventionelle, angetriebene Starrachse könnte. Die hydraulisch angetriebenen Radnabenmotoren – übrigens bei allen Herstellern zugeliefert vom Spezialisten Poclain – waren und sind eher als Anfahrhilfe, als Retter in der Not gedacht. Wer davon profitieren kann: der Rüben-Express, der sich aus einem weichen Acker wieder auf die Straße mogeln muss, der Milch-Transporter, der im Winter eine vereiste Hofeinfahrt überwinden muss oder eben der Kipper. Der hat meistens eher im Leerzustand Traktionsprobleme. Zu wenig Last auf der Antriebsachse, kurz nach dem Abkippen zum Beispiel. Die Deponie ist weich, der Boden tief. Da kann das kleine Quäntchen Antriebsplus von der Vorderachse den Unterschied ausmachen. Und möglicherweise die ansonsten übliche und leider reichlich schwere 6×4-Zugmaschine ersetzen.

Pro & Kontra: Iveco X-Way 480 Hi-Traction TP1621

sehr gute Fahrbarkeit: nicht zu lange, drehmomentorientierte Triebstrang-Abstimmung
direkte Lenkung
einfache Bedienung Hi-Traction
Regelungsqualität GPS-Tempomat Hi-Cruise
Stauraum-Angebot durch lange Kabine
unruhige Kabinenbewegung bei Querrillen
Hydraulik-Leitungsführung Unterboden
Einhaltung untere Hyserese

Ein kleines Quäntchen ist oft entscheidend

Die angetriebene Vorderachse erleichtert aber auch die Kurvenfahrt: Die Fuhre schiebt bei weitem nicht mehr so stur geradeaus, wenn die Hinterachse gesperrt ist. Mehr Führung an der Lenkachse ist nicht zu verachten. Und dann müssen wir über dynamische Achslastverteilung reden. Meint das Phänomen der Be- oder Entlastung durch das Anfahrmoment – besonders ausgeprägt zu beobachten an Steigungen. Vorwärts bergauf anfahren belastet die Hinterachse, entlastet aber die Vorderachse, die in dieser Situation eben eigentlich nicht der Top-Momenten-Überträger sein kann. Aber: Das kleine Quäntchen an Zusatzantrieb kann eben entscheidend sein – und dafür sorgt der hydraulische Vorderachsantrieb mittels Radnabenmotoren allemal. Den größten Effekt zeitigt die angetriebene Vorderachse aber bei Rückwärts bergauf. Dann liegt maximaler Druck auf den Vorderrädern und die Zugmaschine spurt wie eine Eins. Kommt aber halt selten vor. Alte Hasen wissen das noch – und fahren dann schon mal rückwärts aus dem Schlamassel, wenn’s platzmäßig geht.

Wir haben natürlich im Steinbruch alles versucht, um durchdrehende Hinterachsräder zu simulieren – allein schon für ein gutes Foto. Aber es hilft alles nichts: der Boden fest und trocken – da spurt auch ein 4×2 problemlos die steilsten Rampen hinauf. Aber wir wissen ja um die Qualitäten und müssen das jetzt nicht um jeden Preis beweisen.

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Ein Feature hat der X-Way jedoch, das ihn von anderen Hydro-Vorderachsen-Anwendern unterscheidet. Es geht um den sogenannten Creep-Mode, also Kriech-Modus. Der erlaubt – und das ist eine Iveco-Spezialität – das Kriechen ausschließlich über die Hydro-Motoren der Vorderachse. Das Aktivieren per Drucktaster bedingt den Stillstand des Fahrzeugs und eine gezogene Handbremse. Dann den Taster in Vorwärts- oder Rückwärts-Richtung aktiviert, und schon lässt sich per Gaspedal nur über die Hydro-Motoren vor sich hin schleichen.

Wenn man das Gaspedal nur streicheln mag

Und schleichen ist hier wörtlich zu nehmen: Mehr als maximal 10 km/h sind nicht drin. Aber das will man ja: möglichst langsam und kontrolliert rollen. Wem aber nützt das – weil: Schon mit dem normalen ersten Gang des ziemlich weit spreizenden Traxon-Getriebes sind Geschwindigkeiten bei Leerlaufdrehzahl von gut 2 km/h möglich. Der Unterschied liegt in der Art des Kraftschlusses: Während im ersten Gang und bei geschlossener Kupplung voller Kraftschluss herrscht, ist der hydraulische Antrieb da flexibler, weil nur abhängig von der Gaspedalstellung, sprich Drehzahl. So ist nicht nur Stillstand trotz Aktivierung möglich und Geschwindigkeiten von 1 bis 2 km/h, wenn man das Gaspedal nur streichelt. Das kann zum Beispiel vor einem Asphalt-Fertiger ganz nützlich sein, wenn etwa in einem leichten Gefälle der Kipper davonzulaufen droht. Im Kriechmodus kann er nicht wegrollen, der Fertiger bestimmt das Tempo gegen den Kriechmodus des Kippers. Die kontrollierte Langsamkeit kann also für diesen oder jenen Einsatz ein recht praktisches Hilfsmittel sein.

Auf dem Inspektionsgang durch die Grube fällt auf, dass der X-Way über keinerlei Gelände-Attribute wie zum Beispiel Prallplatten unter den Kühlern oder der Ölwanne verfügt. Das entspricht jedoch seiner Definition: X-Way ist nicht T-Way. X-Way heißt maximal unbefestigte Wege und Straßen, der T-Way ist der Typ fürs Gelände und die harten Sachen. Dennoch stört den ansonsten tadellosen freien Durchgang im Unterbau ein durchhängendes Bündel von Hydraulikleitungen, das den Freigang zumindest optisch etwas einschränkt.

Der ganze Hydraulik-Antrieb ist supereinfach in der Bedienung: Ein Druck auf den Taster in der Mittelkonsole aktiviert den Antrieb. Das funktioniert auch während der Fahrt, eine Kontrolllampe meldet Vollzug. Daneben sind die Radnabenmotoren auch akustisch sehr präsent – je nach Last unterschiedlich, von leise summend bis ganz schön laut. Schade, dass der Hi-Traction-Schalter so tief unten in der Mittelkonsole liegt. Weiter oben neben dem Kriechgang-Taster wäre er besser aufgehoben.

Ziemlich viel Feuer unter der Kabine

Übersetzt ist der X-Way für unseren Test ziemlich passend: Mit der 2,85er-Hinterachse dreht der nur etwas über 11 l große Cursor-Motor genau 1.200 Touren bei 84 km/h im höchsten, direkten Gang. Das ist für einen Kipper keineswegs zu kurz übersetzt. Und die Cursor-Motoren drehen ja auch gerne etwas höher. Dadurch erweist sich der 480er als sehr schnell am Berg, insbesondere am Kindinger Berg. Den rauscht er mit einem 78,6er-Schnitt hinauf, ohne an der langsamsten Stelle unter 70 km/h abzufallen. Und das nicht im zehnten, sondern im elften Gang. Da ist ziemlich Feuer unter der Kabine, wenn man das Ganze im Power-Programm fährt, was viele ja an Bergen machen.

Auf der Autobahn kann man den GPS-Tempomaten Hi-Cruise ruhig mal machen lassen: 84 plus 6 gesetzt, minus 5 für den Unterschwinger – und der X-Way läuft die Hügel rauf und runter, dass es eine Freude ist. Die Regelqualität ist dabei sehr gut und unterbindet Dipps in die Speed-Tunke. Die 90 werden sauber eingehalten. Unterschwinger bis, wie eingestellt, unter 80 km/h zuzulassen, fällt dem System etwas schwer. Der Italiener will‘s halt immer ein bisschen schneller. Das spürt man letztlich auch an den Schnitten, die dadurch schnell bleiben. Bergab hat der Tempomat keine Mühe, die Fuhre im Zaun zu halten. Dank Intarder verlaufen die Bergab-Passagen gefühlvoll und leise, in den Senken öffnet die Kupplung zum Segeln genau an den richtigen stellen. Ja, es fällt auf: Iveco hat beim GPS-Tempomat mächtig aufgeholt. Doppelte Gangsprünge zuzulassen trauen sich die Entwickler aber noch nicht. Das würde nämlich die eine oder andere Schaltung und vor allem Zugkraftunterbrechung sparen.

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Vor allem auf Schlechtwegpassagen fällt die straffe Federung dieses X-Way auf. Die doppelten Parabelfedern vorne sind alles andere als weich, der Stabi auch einer von der dickeren Sorte. Auch begünstigt durch breiten 385er-Vorderreifen dringen Querrillen als harte Stöße bis in die Kabine vor, obwohl diese an allen vier Ecken auf Luftfederbälgen ruht. Da ist komfortmäßig noch Luft nach oben, zumal die unruhige Kabinenbewegung bisweilen auch auf die Lenkung durchzuschlagen scheint. Die Relativbewegungen zwischen Fahrerhaus und Chassis haben keinen guten Einfluss auf die Lenkung, die dadurch in der Mittellage und auf ruppiger Fahrbahn sehr unruhig wirkt. Ist der Weg ein ebener, läuft der X-Way wie auf Schienen und lässt sich mit wenig Kurbelarbeit dank der sehr direkt übersetzten Lenkung mit minimaler Kurbelarbeit durch die Kreisverkehre zirkeln.

Das ist im Grunde das, was am X-Way auffällt: seine sehr gute Fahrbarkeit. Einsteigen, Losfahren, Wohlfühlen. Und das ohne digitales Mäusekino, ohne Mirror-Cams und Lenk-Assistenten. Der Antriebsstrang und die Übersetzung stimmen, das Leistungsangebot auch. Dank des variablen Laders kann der Cursor auch bei niedrigsten Drehzahlen performen, ja er sucht sogar auf der Landstraße den höchsten Gang, um dann mit knapp unter 1.000 Umdrehungen munter vor sich hin zu kurbeln. Das macht er auch noch sehr leise: Hier zeigt das Messgerät gerade mal 60 dB(A), auf der Autobahn sind es ebenfalls angenehme 62 dB, überwiegend dominiert von Windgeräuschen, die Maschine hört man fast gar nicht.

Luft nach oben ist bei der Auswahl der Abbiege-Assistenten. Offenbar kann man sich in Italien nicht dazu durchringen, radarbasierte Tote-Winkel-Warner zu realisieren. Stattdessen stützt sich Iveco seit jeher auf optische Systeme, die auch bei diesem X-Way mehr durch Fehlalarme glänzen als durch sichere Erkennung von Fußgängern oder Radfahrern.

Klar, mit 8.360 kg leer und solo ist die Zugmaschine kein Leichtgewicht. Zwei Hydraulikpumpen, der Vorderachsantrieb und auch die lange Kabine fordern beim Gewicht das ihre. Immerhin bleiben für den Gesamtzug mit elektrischem Cramaro-Schiebeverdeck noch 25,5 t Nutzlast. Das wäre mit einem konventionellen 4×4-Allradantrieb nicht zu machen, und auch eine 6×4-Zugmaschine kommt immer unter 25 t Nutzlast raus. Insofern: Alles richtig gemacht.